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Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.

Multiple Sklerose
© iStock - Stadtratte

Gibt es einen Geschlechterunterschied in der Bewältigung von MS?

Die Diagnose Multiple Sklerose muss von jedem, den sie trifft, erst einmal bewältigt werden. Aber gibt es im Umgang mit der chronischen Erkrankung einen Unterschied zwischen Männern und Frauen? Dr. Silvia Dirnberger-Puchner, Psychotherapeutin, erforschte in einer Lebensqualitätsstudie an 193 MS-Patienten und -Patientinnen die Existenz geschlechsspezifischer Krankheitsbewältigungsstrategien bei Multipler Sklerose.

Bei ihren Vorträgen und Seminaren über den Umgang mit chronisch kranken Menschen, die die Psychotherapeutin für Ärzte und Pflegepersonen hält, wurde sie durch die Teilnehmenden immer wieder darauf angesprochen, dass sie bei ihren Patienten deutliche Unterschiede im Umgang mit den Krankheiten feststellen und dafür einen geschlechtsspezifischen Hintergrund vermuten. Das hat die Psychotherapeutin dazu inspiriert, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Bei ihrer Studie befragte sie Patienten und Patientinnen mit der Diagnose MS unter verschiedenen Aspekten hinsichtlich der Akzeptanz der Erkrankung, dem sekundären Krankheitsgewinn (erhöhte Aufmerksamkeit der Umgebung), der Copingstrategien, der angebotenen Hilfsmaßnahmen und der Therapien (alternative Heilmethoden, Psychotherapie etc.).

Interessant war dabei nicht nur die unterschiedliche Sichtweise männlicher und weiblicher Patienten, sondern auch die Divergenz zwischen der Einschätzung durch die Behandler und Behandlerinnen einerseits und die reale Verhaltensweise der Betroffenen. Während Behandler und Behandlerinnen davon ausgingen, dass die meisten der Befragten die Krankheit voll oder teilweise akzeptieren, zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Männer sowie rund ein Drittel der Frauen die Krankheit nicht wahrhaben wollen. Zu dieser Fehleinschätzung passt auch, dass keine Frau und nur 6,3 \\\% der Männer von den Behandlern und Behandlerinnen für unkooperativ gehalten wurden. Vonseiten der Erkrankten werden die Hilfsangebote aber tatsächlich weitaus weniger angenommen als vermutet.

„In der geschlechtsspezifischen Unterscheidung ist auffällig,“ so Dr. Dirnberger-Puchner, „dass fast alle Hilfsangebote den Männern wesentlich häufiger angeboten werden als den Frauen. Dieses Ergebnis bestätigt sich auch in der Sicht der Patient/-innen – die einzige Ausnahme bildet das Angebot alternativer Heilmethoden.“ Letztere werden dabei von Männern wie Frauen gleichermaßen in Anspruch genommen, während Frauen häufiger als Männer einen Psychotherapeuten aufsuchen. Beide Geschlechter legen dagegen auf die gleichen Hilfeformen Wert, nämlich das Gespräch mit dem Arzt, Ergo- bzw. Physiotherapie, zusätzliche Sachinformationen über Behandlungsmöglichkeiten und -folgen.

Dr. Dirnberger-Puchner konnte in ihrer Studie bestätigen, dass grundsätzlich ein eindeutiger Unterschied zwischen den Geschlechtern hinsichtlich der Krankheitsbewältigung besteht. „Während Männer aktive Handlungen setzen und damit eine problemorientierte Copingstrategie anwenden, lässt sich bei Frauen eine emotionsbezogene, palliative Bewältigungsreaktion feststellen – sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die damit verbundenen Emotionen.“ Sie lassen deshalb Gefühle zu, nehmen ihre Stärken und Schwächen an und suchen auch das persönliche Gespräch über ihre Probleme und Wünsche, während Männer eher zielorientiert denken, die Krankheit als Störfaktor in ihrem Leben bekämpfen und um Selbstbeherrschung bemüht sind. Im Gegensatz zu dieser problemorientieren Bewältigungsstrategie birgt die emotionale Variante eher die Gefahr von Depressionen.

Außerdem konnte die Psychotherapeutin aus der Befragung ablesen, dass deutlich mehr Männer als Frauen ihre Krankheit zu verleugnen versuchen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Frauen ihre Krankheit leichter akzeptieren als Männer. Die Vermutung, dass Frauen die aus ihrer Krankheit resultierende Aufmerksamkeit als persönliche Aufwertung verstehen, während Männer diese als Abwertung sehen, kann hingegen nicht bestätigt werden. Zur Ursache der Erkrankung äußerten sich die Frauen nicht, während die Männer ihre Entstehung auf äußere Einflüsse zurückführten.

Dr. Dirnberger-Puchner unterscheidet hinsichtlich der Bewältigungsstrategien folgende acht Typen von Patientinnen und Patienten: den depressiven, den aktiven, ressourcenorientierten, den aktiven Bewältigungstyp mit konkreter Vorstellung davon, was hilfreich ist, den fremdorientierten und fremdbestimmten, den positiven emotionalen, den abhängigen Patiententyp, der die Bedürfnisbefriedigung über und durch die Krankheit erfährt, den Patiententyp mit schlechtem Krankheitsmanagement und den „braven“, angepassten Patiententyp, der die Krankheit hinnimmt. „Nachdem der angepasste Patient/-innentyp einen so hohen Zustimmungsgrad aufweist, ist mir die Aussage wichtig, dass gerade bei diesen Personen Psychotherapie eine wesentliche Hilfe sein kann, um ihren defizitorientierten Fokus aufzulösen und eine bessere Umgangsform mit der Hilflosigkeit zu finden, die aus der immanenten Unsicherheit in der Frage nach den Ursachen und dem Verlauf entsteht.

Es ist wichtig, von der Erklärung hin zur Beschreibung der Gegebenheiten zu kommen, um den Blick auf die Phänomene des Körperzustandes und der Befindlichkeit zu richten. Dabei können Anpassungsfähigkeiten entwickelt werden, die dem Stressabbau dienen,“ so die Expertin. Denn bei chronischen Erkrankungen ist nach ihrer Meinung ein effektiver Umgang mit der Krankheit wesentlich von der Einflussnahme durch den Betroffenen selbst abhängig, der also von außen her vor allem in seinem Selbstmanagement unterstützt werden muss, um seine individuellen Handlungs- und Bewältigungsstrategien entwickeln zu können.

Die Psychotherapeutin zieht den Schluss, dass „allgemein die Behandlungskonzepte bei der Therapie von MS-Patientren/-innen modifiziert und sowohl an deren besondere Bedürfnisse als auch an deren Geschlecht angepasst werden sollten.“ Eine Möglichkeit seien dabei die Ansätze aus der Psychotraumatherapie, bei der die Nutzung und Entwicklung individueller Ressourcen und eine primäre Stabilisierung im Vordergrund stünden. Dabei würde dann auch eine Abwehrhaltung als sinnvoll anerkannt und als Ressource genutzt werden.

Quelle: BMS 3/2011

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