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Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.

Multiple Sklerose
© iStock - Stadtratte

Meine MS und ich

Im März 2005 arbeitete ich gerade das vierte Jahr an einer Schule für geistig Behinderte in Dresden. Als ich eine Bronchitis bekam, dachte ich mir nichts weiter, dank Antibiotika würde ich sicher bald wieder gesund sein. Aber es wollte der Schwindel nicht weggehen und ich war total erschöpft. Meine Hausärztin überwies mich zu verschiedenen Fachärzten, die aber nichts fanden. Letztendlich schickte mich mein damaliger HNO-Arzt zum MRT, wo dann das ganze Dilemma begann.

Es wurden weiße Herde im Gehirn festgestellt, die sich mit Kontrastmittel anreicherten – Zeichen für eine Entzündung. Ehe ich mich versah, war ich auch schon zur Diagnostik im Krankenhaus. Dort wurden wieder einige Tests durchgeführt und eine Lumbalpunktion. Ich flehte den Arzt an, mir endlich zu sagen, woher meine Symptome kamen, denn mittlerweile sah ich wie durch eine Milchglasscheibe, es kribbelte am ganzen Körper, und ich lief langsam wie eine alte Frau. Und so sagte er mir auch recht schnell, dass ich Multiple Sklerose habe.

In so einer Situation lässt man oft sein Leben Revue passieren und mir fielen meine komischen Erkrankungen in den Jahren zuvor ein. Man konnte sie leicht dem orthopädischen Bereich zuordnen, aber es dauerte immer sehr lange, bis ich wieder gesund war. Mit 18 Jahren hatte ich wohl im Nachhinein betrachtet meinen ersten Schub mit „Bilderbuchsymptomen“: Taubheit von den Knien bis zum Gesäß, Missempfindungen, Gehen wie auf Watte und extremer Schwindel. Damals wurde diese als Nervenwurzelentzündung diagnostiziert und niemand dachte an MS. Das Lehrmitte-Zeichen hatte ich schon viele Jahre vor der Diagnosestellung. Jetzt wusste ich auch, warum ich oft so müde war. Die Ärzte bestätigten meine Vermutung. Ich hatte also schon 20 Jahre MS! Vielleicht war es ganz gut so, dass ich es erst viele Jahre später erfahren habe!

Da ich gerade einen Schub hatte, bekam ich Kortison per Infusion. Ich begann mit einer Basistherapie. Im Krankenhaus lernte ich schnell, selbst zu spritzen – gar nicht so schlimm. Ich verschlang Bücher über die MS, änderte meine Ernährung, meldete mich zum Yoga an, gewöhnte mir das Rauchen ab, ging zu einer Selbsthilfegruppe, konnte auch wieder kurzzeitig arbeiten gehen … bis meine MS mir zu verstehen gab, dass es so nicht geht! Ich hatte daraufhin fünf mittelschwere Schübe in einem Jahr. Mein ganzer Körper rebellierte, und ich hatte keine Zeit, mich zwischen den Schüben zu erholen. Damals war ich mehr im Krankenhaus als zu Hause. Die Ärzte probierten verschiedene Basistherapien aus, die nicht richtig anschlug. Die MS war zu aggressiv. Letztendlich entschied man sich für eine Eskalationstherapie und mir blieb keine andere Wahl, als zuzustimmen.

Nun folgten zwei Jahre Chemotherapie. Alle drei Monate war ich tapfer genug, mir die Infusion als blauen Schlumpfensaft (wie ich es damals liebevoll nannte) in meiner neurologischen Klinik abzuholen. Schnell merkte ich, was sich für eine Revolution in meinem Körper abspielte. Ich hatte jedesmal das Gefühl, ein Schwerlasttransport wäre über mich gefahren, unter dem ich nur ganz mühsam wieder hervorkriechen konnte! Meine Leukozyten rutschten in den Keller, und mein Leben lief wie in Zeitlupe ab. Die MS-Symptome verstärkten sich jedesmal wieder, und wäre ich nicht so optimistisch gewesen, ich weiß nicht, was heute wäre. Ganz schnell wurde ich zu 70 \\\% schwerbehindert und „durfte“ in die Frührente. Das hätte ich mir nie gewünscht, denn meine Arbeit machte mir Spaß und erfüllte mich. Ich konnte mit autistisch behinderten Kindern arbeiten – und plötzlich sollte Schluss sein! Mittlerweile weiß ich, dass dieser Schritt richtig war: Ich würde das heute gar nicht mehr schaffen.

Meine Kinder hatten Angst, nachdem sie von meiner Krankheit erfuhren. Dennoch musste ich funktionieren. Ich stieß oft an meine Grenzen. Gerade mein Sohn, der eine autistische Behinderung hat, brauchte mich ganz. Dann war da noch meine West-Highland-White-Terrier-Hündin, die jeden Tag ihr Gassigehen verlangte. Es ging langsam wegen der Spastik in den beiden Beinen, aber es funktionierte und tat gut. Das war jedesmal ein richtiges Erfolgserlebnis, wenn ich merkte, heute bin ich 25 Minuten gelaufen, zwar mit Pause, aber Tage zuvor waren es nur 15 Minuten. Als ich so – dank meiner Chemotherapie – langsam wieder an der Oberfläche ankam, beschloss ich, mein Leben neu zu ordnen.

Zuerst musste mich von meinem Mann scheiden lassen. Ich merkte schon lange, dass mir diese Ehe nicht gut tat. Das schaffte ich erst, nachdem ich gespürt hatte, wie plötzlich sich das Leben ändern kann. Ich entwickelte eine gesunde Portion „Egoismus“ und merkte, dass ich an Selbstbewusstsein reicher geworden war. Dem Leben die kleinsten Freuden abzugewinnen, fiel mir ganz leicht, plötzlich war es mir vergönnt, alltägliche Dinge als Geschenk zu sehen. Ich freute mich, dass ich laufen konnte, dass ich den Wäschekorb auf einen Stuhl stellen konnte, dass ich 200 m ohne Pause laufen konnte und es von Tag zu Tag mehr wurden, dass ich Treppen steigen konnte. Ich freute mich über den Frühling, dass die Blumen wieder blühten, die Luft wieder wärmer wurde … Umgekehrt war vieles, was früher für mich von großer Bedeutung war, gar nicht mehr so wichtig …

Zu Beginn meiner Diagnosestellung bekam ich Lust, Bilder mit Bildbearbeitungsprogrammen zu erstellen. Im Internet war auch schnell eine Gruppe gefunden, bei der ich einen Kurs absolvieren konnte – eine willkommene Herausforderung. Noch heute bin ich dabei jedesmal in einer anderen Welt, ich kann kreativ sein und meine Erkrankung vergessen, zumindest so lange, bis sie sich mal kurz meldet durch Schwindel, Konzentrationsstörungen, Augenschmerzen. Stolz war ich, als ich selbstständig meine Homepage erstellte. Ich lernte lud meine Homepage selbst auf einen Webhoster. Hier hatte ich nun endlich die Möglichkeit, über meine Krankheit zu schreiben und mit Betroffenen in Kontakt zu treten. Heutzutage existieren ja noch Gruselmärchen über MS, sodass ich den Betroffenen unbedingt die Angst nehmen und Nichtbetroffene aufklären wollte. Beim Schreiben setzte ich mich aber auch selbst mit der MS auseinandersetzte, was mir bis heute hilft!

Später bin ich mutiger geworden und habe versucht, einige Tutorials (Anleitung, wie man Grafiken erstellt) selbst zu schreiben. Ich merkte, dass es klappte, und gründete eine Gruppe, in der ich meine Tutorials vorstellte. Die positive Resonanz war groß. Gerne stelle ich auch Briefpapier her. Kürzlich habe ich einen Letterkurs besucht, wo ich lernte, Scrollletter und Expanding Letters zu erstellen. Das ging schon hart an meine Grenze, aber ich habe es trotz Schwierigkeiten geschafft!

Anfang Februar war ich vier Jahre schubfrei und ich bin froh, dass ich mich damals für die Chemotherapie entschieden habe. Vor drei Jahren habe ich einen neuen Partner kennengelernt, der meine Krankheit akzeptiert und mich so nimmt, wie ich bin – so glücklich war ich lange nicht! Heute kann ich sagen, dass ich fünf Jahre brauchte, um mich mit der MS zu arrangieren. Ich habe gelernt, mit all meinen Behinderungen klarzukommen, und kann manchmal über das eine oder andere Symptom sogar lachen. Ganz wichtig ist, sich selbst zu vertrauen! Eine große Portion Optimismus ist auch notwendig, um sich an manchen Tagen nicht selbst aufzugeben!

Quelle: BMS 3/2011

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