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Neurodermitis

Neurodermitis ist eine chronische, nicht ansteckende Hauterkrankung, die von einem starken Juckreiz und trockener Haut gekennzeichnet ist. Auf der Haut entstehen rote, entzündliche, schuppende Ekzeme, die gelegentlich auch nässen.

Neurodermitis
© iStock - Kwarkot

Compliance bei Neurodermitis

Ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis ist wichtig

Die Haut ist das Organ des Menschen, das aufgrund seiner Sichtbarkeit nicht nur aus medizinischer Sicht eine Sonderstellung einnimmt, sondern auch, weil das Aussehen der Haut seit jeher ein zentraler Faktor im menschlichen Miteinander ist. Bei vielen Naturvölkern sind z. B. Tätowierungen, Piercings und Brandings bis heute Ausdruck von Status und Stammeszugehörigkeit. Die Haut nimmt als Sinnesorgan äußere Einflüsse wie Berührung, Temperatur, Vibration wahr und wird durch innere Zustände (Emotionen) beeinflusst. Der Zustand des Körpers (der Haut) wiederum beeinflusst auch die Emotionen. Aufgrund dieser Wechselwirkungen lassen sich Reaktionen wie Erröten, Schwitzen, Mimik (Freude, Trauer, Angst), aber auch allergische Reaktionen z. T. erklären (etwas „geht unter die Haut“). Wird die Haut krank, ist für eine Genesung oft das Befolgen einer Reihe von Therapieverordnungen notwendig.

Compliance – die Mitarbeit des Patienten

„Compliance“ bezeichnet die Zusammenarbeit des Patienten und seiner Angehörigen mit dem behandelnden Therapeuten. Sie ist die Basis, auf der eine Stabilisierung des Verlaufs insbesondere chronischer Hauterkrankungen wie der Neurodermitis erreicht werden kann. Bestimmte Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Patienten (bzw. bei Kindern die Eltern) „compliant“ sind. Dies wurde von Ohya und seinen Mitarbeitern anhand der Auswertung von Fragebogen-Untersuchungen bei Neurodermitis-Patienten herausgestellt. Die beste Therapie kann versagen, wenn nicht bestimmte individuelle Faktoren (Misstrauen, Angst, Frustration o. ä.) beim Patienten bzw. dessen Eltern berücksichtigt werden. Daher sollten diese Aspekte bereits von Anfang an mit in die ärztliche Beratung einbezogen werden, um ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis aufzubauen. Sobald dies erreicht ist und der Patient bzw. die Eltern sich trauen, offen über Themen wie z. B. Ängste zu sprechen und diese ausgeräumt werden, ist es leichter, die empfohlenen Therapien entsprechend durchzuführen. Als zweitwichtigster Faktor für das Befolgen der Therapieverordnungen wird die wahrgenommene Schwere der Neurodermitis genannt. Der Arzt sollte den Patienten im Rahmen eines „guten Verhältnisses“ eher zur Hautpflege ermutigen, als ihn sachlich und distanziert mit Informationen zum Thema Allergenvermeidung zu versorgen. Eventuell vorhandener Ekel vor der erkrankten Haut sollte thematisiert und gezielt abgebaut werden. Für viele Patienten bzw. Eltern ist es eine Erleichterung zu erfahren, dass ein gewisser Ekel vor der erkrankten Haut durchaus natürlich ist. Insbesondere Eltern leiden diesbezüglich unter schlechtem Gewissen bis hin zu massiven Selbstvorwürfen. Vom Hautarzt zu erfahren, dass dieser Ekel einer instinktiven Abwehrreaktion entspricht, ist für viele Patienten/Eltern sehr entlastend.

Bedeutung sozialer Faktoren für die Compliance

Des Weiteren sind auch die Persönlichkeitsstruktur der Mutter eines Neurodermitis-Kindes oder auch die Mitarbeit des Vaters und andere soziale Faktoren bedeutsam für die Qualität der Compliance: Ein gutes Arzt-Patienten- Verhältnis war in der genannten Studie assoziiert mit einem hohen Selbstvertrauen der Mutter, die Probleme der Neurodermitis-Kinder selbst zu „managen“. Wichtig war auch das Ausmaß an psychosozialer Unterstützung, welche die Eltern/Mütter im Umgang mit der Neurodermitis ihres Kindes erhielten. Je höher die Unterstützung durch das soziale Umfeld, umso größer die Bereitschaft, in die Behandlung der Haut zu „investieren“.

Psychische Belastung

Viele Hautkranke (z. B. mit Psoriasis, Neurodermitis/Allergien o. a.) fühlen sich in ihrer äußerlichen Attraktivität oft extrem eingeschränkt und leiden infolgedessen nicht selten unter psychosomatischen Störungen. In einer Studie fiel auf, dass chronisch Hautkranke (Neurodermitis-Patienten) gegenüber ihrer eigenen Haut deutlich negativer eingestellt sind und dabei auch mehr psychosomatische Hautbeschwerden angeben als akut Hautkranke und Hautgesunde. Hervorgehoben wurde in dieser Studie, dass Frauen in allen Untersuchungsgruppen öfter über Hautbeschwerden berichteten als Männer. Vermutet wird, dass Frauen um ihr Aussehen tendenziell stärker besorgt sind als Männer. Berücksichtigt werden muss insbesondere bei Neurodermitis-Patienten bzw. deren Eltern auch, dass diese aufgrund der meist langen Krankheitsverläufe tendenziell eher misstrauisch und meist „ausgebrannt“ sind, also sehr behutsam vom Therapeuten angesprochen werden müssen, damit festgestellt werden kann, über welchen Weg dem Patienten am besten zu helfen ist. Diese Aspekte berücksichtigend betonen Lawson und Kollegen, dass die Neurodermitis den Zusammenhalt des Familienlebens sehr beeinträchtigen kann: mehr als 70 % der Eltern empfanden die besondere Pflege ihres Kindes als sehr belastend. Ebenfalls über 70 % fühlten sich aufgrund von Schuldgefühlen, Erschöpfung, Frust, Hilflosigkeit und dem Unwillen, die Erkrankung ihres Kindes zu akzeptieren, unter Druck gesetzt. 64 % litten an Schlafstörungen durch den Juckreiz des Kindes. Ferner fiel auf, dass diese Eltern oft große Schwierigkeiten hatten, ihren Kindern klare und adäquate Schranken aufzuzeigen (aus Angst, Kratzattacken zu provozieren) und dazu neigten, überbehütend zu sein.

Ursachen für Non-Compliance

Charman und Kollegen konnten in einer Befragung der Eltern von Neurodermitis-Kindern Faktoren aufzeigen, auf die ein Compliance-Mangel zurückgeführt werden kann. Die Angst der Eltern vor Nebenwirkungen des Kortisons war eine häufige Ursache dafür, dass die verordneten Präparate nicht eingesetzt wurden. Dabei wurden die Eltern nach eigenen Angaben nicht ausreichend über das Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum von Steroiden aufgeklärt. Aufgrund dieser Kortison-Angst gaben 24 % der Patienten (Eltern) in dieser Befragung zu, nicht compliant zu sein. Nicht nur das Misstrauen in die Therapie, sondern auch Ekel vor den Hauterscheinungen, der Überdruss, das Kind regelmäßig einzucremen, Kapitulation vor der Abneigung des Kindes gegen das Eincremen und letztlich auch eine Beeinträchtigung der Lebensqualität der Eltern durch Stress und Erschöpfung aufgrund der Schlaflosigkeit und des zugrunde liegenden Juckreizes des Kindes sind die Hauptfaktoren dafür, dass Eltern von Neurodermitiskranken Kindern nicht compliant sind. Daher sollten in der Beratung diese Themen offen angesprochen werden, damit die Eltern sich verstanden fühlen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufgebaut werden kann.

Hautpflege und Therapie im Alltag

Ein weiterer für die Compliance wichtiger Aspekt in der Behandlung von Hautkrankheiten ist die Anwendung von Cremes, Lotions und Salben zur Pflege und Therapie, da diese sehr unterschiedlich von dem Patienten wahrgenommen werden und auch mit verschiedener Absicht vom Anwender – meist der Mutter des Patienten – eingesetzt werden kann: So kann das Eincremen einerseits beruhigend und angenehm sein, andererseits aber auch als bestrafend und/oder aufdringlich empfunden bzw. auch bewusst so eingesetzt werden. Der therapeutische Hinweis, dass die Pflege bzw. die Therapie der Haut möglichst in funktioneller und neutraler Weise – wie das tägliche Waschen und Zähneputzen – durchgeführt werden sollte, kann besonders für Eltern schwer kranker Neurodermitis-Kinder sehr hilfreich sein. Die Thematisierung dieser Möglichkeiten des Eincremens erleichtert nicht nur die dermatologische Therapie, sondern ermöglicht oft gleichzeitig die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses, welches eine stabile Basis für eine psychosomatische Betreuung dieser Patienten bzw. deren Eltern sein kann.

Sekundärer Krankheitsgewinn

Wie bei allen chronischen Erkrankungen besteht auch bei der Neurodermitis das Risiko, dass der Patient seine Erkrankung im Sinne des sekundären Krankheitsgewinns einsetzt, um vermehrte Zuwendung zu erhalten. Dies ist besonders bei der Pflege und Therapie der Haut ein Problem, da hier die körperliche Zuwendung sehr leicht durch übertrieben dargestellte Juckreizattacken oder auch das bewusste Vortäuschen von Juckreiz erzwungen werden kann. Die betroffenen Eltern stehen hier vor einem Dilemma, da es sehr schwierig sein kann, die Zuwendung nicht komplett auf die Behandlung der Haut zu reduzieren, sondern weiterhin dem Kind das individuell angemessene Maß an anderweitiger Zuwendung und Zärtlichkeit zu geben.

Psychosomatische Betreuung

Vor individuellen psychosomatischen und psychotherapeutischen Behandlungen sollten zunächst Patienten-/Eltern- Schulungen angeboten werden, die darauf abzielen, die Arzt-Patienten- Beziehung und auch die familiäre/ partnerschaftliche Situation der Betroffenen zu stabilisieren. Hand in Hand mit dem Aufbau eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses sollten in der Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) die Themen Stress/Labilität, autoaggressive Tendenzen (Aggressionen gegen sich selbst), depressives Verhalten, psychosoziale Konflikte, Lebensqualität und Compliance (Ängste, Phobien, Ekel, Motivation, Misstrauen) besondere Beachtung finden. Im Mittelpunkt der psychosomatischen Beratung steht, dem Patienten die individuell vorliegenden biopsychosozialen Zusammenhänge erkennbar zu machen und Lösungsstrategien zu erarbeiten bzw. anzubieten. Für den Patienten/die Eltern sind auch das Erlernen von Entspannungsverfahren oder die Teilnahme an Stressbewältigungstrainings und Sport geeignete Maßnahmen, um Stress abzubauen bzw. die Stresstoleranz zu erhöhen, um die Erkrankung besser bewältigen zu können.

Patienten-Schulungen

Die Schulung der Eltern von Neurodermitis-Kindern ist unter psychosomatischen Aspekten besonders wichtig. Eines der Hauptziele ist, den Patienten/seine Eltern dahingehend zu schulen, dass auch er/sie selbst die Therapie als sinnvoll betrachtet/betrachten. Als Modell zur langfristigen Betreuung und Behandlung chronisch Kranker mit Neurodermitis ist die Verhaltensmedizin heute allgemein akzeptiert. Im Mittelpunkt stehen die Vermittlung von Kompetenz und das Übernehmen von Eigenverantwortung für den Behandlungsprozess durch Patienten bzw. Eltern. Nur durch eine wesentliche und langfristige Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen kann eine nachhaltige Stabilisierung der körperlichen Beschwerden der Neurodermitis erreicht werden. Das Schulungskonzept der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitis-Schulung (AGNES e. V.) z. B. ist ein ausgereiftes Konzept, welches bereits seit einigen Jahren in Praxen, Akut- und Rehakliniken angeboten wird.

Psychotherapeutische Verfahren

In einer repräsentativen Umfrage bei Neurodermitis-Patienten in Arztpraxen konnte gezeigt werden, dass Patienten, die sich einer Psychotherapie unterzogen hatten, diese als genauso effektiv beurteilten wie die Wirkung von Kortison. Im Vergleich dazu wurden andere Therapien von den Patienten als deutlich weniger wirksam eingeschätzt. Auch andere Studien sprechen für den Einsatz psychotherapeutischer Verfahren bei Patienten mit Neurodermitis bzw. deren Eltern.

Zusammenfassung

Neurodermitis-Patienten bzw. ihre Eltern sind meist sehr gut in der Lage, diese chronische Krankheit zu beobachten, Veränderungen vorherzusehen und aufgrund der eigenen Erfahrung einzuschätzen, warum sich die Haut gerade verbessert oder verschlechtert. Daher ist es in der psychosomatischen Betreuung oft leicht, diesen Patienten zu helfen, äußeren Ereignissen eine positive oder negative Wirkung auf die Hautsymptomatik zuzuordnen und entsprechend konstruktiv damit umzugehen. Grundlage dafür ist ein vertrauensvolles Behandlungsverhältnis, welches dem Patienten helfen kann, sein Krankheitsverständnis zu erweitern und bestehende Probleme im Verständnis und im Umgang mit der Haut zu beseitigen. Problematisch ist bei der psychosomatischen Betreuung von Hautkranken, dass der Mangel an anerkannten Leitlinien nach wie vor nicht nur zur Verunsicherung der Patienten, sondern auch der Therapeuten beiträgt. Schließlich wäre für die Betreuung von Patienten mit Neurodermitis auch eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Fachärzten/-einrichtungen sowie Psychologen/Psychotherapeuten und entsprechenden Facheinrichtungen wie z. B. Akut- und Rehakliniken wünschenswert im Sinne einer integrierten Versorgung.

Dr. Thomas C. Roos
Wittmund

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