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Krebs allgemein

Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.

Krebs allgemein
© iStock - koto_feja

Experteninterview mit Prof. Dr. med. Peter Schmidt-Rhode

Im Rahmen unserer Interviewreihe von „Leben? Leben!“ stellen wir Prof. Dr. med. Peter Schmidt-Rhode vor. Er ist Stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Wiederherstellende Chirurgie in der Gynäkologie und Vorstandsmitglied der Hamburger Krebsgesellschaft.

Herr Prof. Schmidt-Rhode, warum haben Sie sich für den Arztberuf entschieden?

Ursprünglich wollte ich Biochemie studieren,weil ich mich dafür interessierte, die molekularen Geheimnisse des Lebens näher zu ergründen – Sicherlich ein Phantasietraum eines Jungen, der mit der Realität wenig gemeinsam hat. Ich begriff dann aber, dass ein Biochemiker überwiegend Theoretiker im Labor ist, der Versuchsreihen an Zellkulturen oder an Tiermodellen durchführt, um basiswissenschaftliche Daten zu erheben. Der Nutzen und die Anwendung dieser Dinge kann er nicht ermessen oder kalkulieren und kann sie schon gar nicht in den komplexen Verantwortungssystemen eines Instituts oder der Industrie bestimmen.

Ich als eher kommunikativer Mensch war aber eher daran interessiert zu ergründen, welche Auswirkungen bestimmte Mechanismen am lebenden Organismus haben oder wie bestimmte Wirkungen von außen den Organismus beeinflussen. Auf der Suche nach Anwendungen biochemischer Grundsätze lernte ich, dass alle naturwissenschaftlichen Disziplinen und Fragestellungen sich irgendwo in der Medizin wiederfinden und man so in der Medizin im Grunde auch Biochemie betreiben, sich aber zusätzlich auch noch direkt mit dem „Leben“ auseinandersetzen bzw. die Anwendung am Menschen und den Nutzen für den Menschen erforschen kann. Das hat dann zu der Entscheidung geführt, Medizin zu studieren, um Arzt zu werden.

Was hat Sie bewogen, sich auf die Onkologie zu spezialisieren?

Das Interesse an der Biochemie führte dazu, dass ich eine Promotionsarbeit in der Endokrinologie anstrebte und bekam. An der Universitäts-Frauenklinik in Köln war in den 60er Jahren ein großes endokrinologisches Forschungslabor entstanden unter Prof. R. Kaiser, Geiger, Leyendecker, K. D. Schulz und Frau Dr. H. Würz. Die gynäkologische Endokrinologie war damals ein aufstrebendes Fach, um die hormonellen Abläufe im menschlichen Körper zu begreifen und ggf. zu beeinflussen (Pille, künstliche Befruchtung usw.). In der Onkologie war damals gerade die Grundlage erforscht für die Hormonabhängigkeit des Mammakarzinoms, nämlich der Östrogen- und der Gestagenrezeptor.

In der Folge wurden spezielle Therapien entwickelt, die ihre Wirkung über diesen Mechanismus entfalten sollten (Tamoxifen). Frau Würz und K. D. Schulz beauftragten mich, die Fragestellung zu untersuchen; welchen Einfluss eine kanzerostatische Chemotherapie (das zweite Standbein der systemischen Behandlung des Mammakarzinoms) auf das weibliche Endokrinium hat und zwar in allen Zyklusphasen (Geschlechtsreife, Klimakterium, Postmenopause). Dahinter stand auch die Frage:Kann durch eine Chemotherapie zusätzlich ein antihormoneller Effekt erreicht werden? Damit konnte ich meinen Traum realisieren, einen biochemischen Mechanismus in der direkten Anwendung zu überprüfen. Die Daten stellte ich in meiner Doktorarbeit zusammnen.

Was ist Ihnen besonders wichtig im Umgang mit Ihren Patienten?

Über den guten Kontakt in der Kölner-Frauenklinik und durch die guten Daten, aber auch über den überaus intensiven Kontakt zu den onkologischen Patientinnen, den onkologischen Schwestern und der Station (das war damals fast mein zweites Zuhause), wurde mir in Köln eine Stelle angeboten. Bei der damals sehr starken Konkurrenz um wenige Stellen hatte ich den Zuschlag u. a. der sehr starken Fürsprache der Kölner Patientenvereinigung zu verdanken; die Selbsthilfegruppen befanden sich gerade in der Entstehung. Dies führte bei mir dazu, dass ich praktisch von Anbeginn an engste Kontakte über das berufliche hinaus in die Patienteninitiativen hatte, was auch bis heute meine berufliche Laufbahn begleitet hat.

Die Frage bezüglich des Umgangs mit Patienten ergibt sich quasi daraus: Entscheidend ist der partnerschaftliche Umgang miteinander, eine heute alltägliche Praxis (oder Phrase?), die es damals aber erst zu entwickeln galt; der Prozess ist nach meiner Meinung bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Patientin und Ärztin/Arzt und Pflege sowie andere Heilberufe arbeiten gemeinsam im Miteinander für die Patientin und es findet ein ständiger wechselseitiger Lernprozess statt. Auch der Arzt lernt vom Patienten; nur die Einbeziehung der Emotionen, der Wünsche, des Umfeldes, der Träume, des „Ich“ des Patienten lassen eine optimale Therapie- oder Diagnoseentscheidung zu. Es ist eben nicht nur eine naturwissenschaftliche Entscheidung, sondern eine naturwissenschaftlich begründete Anwendung auf das Leben in all seinen Facetten. Deshalb lässt sich in der Medizin auch nicht alles messen. Evidence based ist gut und notwendig, aber „ärztliches Schaffen“ ist mehr, oder sollte mehr sein, deshalb ist es auch nicht nur die große medizinische Institution und der Große Name, sondern es ist auch die persönliche Präsenz, die Anteilnahme gepaart mit fachlicher Kompetenz unter Bewertung der individuellen Situation.

Haben Sie neben Ihrem Beruf andere Betätigungsfelder oder Interessen, die Ihnen als „Kraftquellen“ dienen?

Wichtig ist mir meine Familie, weil in ihr alle Prozesse des menschlichen Daseins im kleinen Biotop ablaufen, wie sie sich im großen in der Gesellschaft abspielen; hier liegen Teamgeist, Kommunikation, Emotion, Stress, Liebe und Leid, alles nahe beieinander. Wichtig ist, dass man Phasen der Euphorie ebenso wie Phasen der Depression, des Erfolges und des Misserfolges miteinander durchlebt. Man lernt auch, seine eigene Wichtigkeit zu relativieren und einen realistischen Standpunkt zu sich selber zu finden. Wichtig ist auch seinen Körper zu fordern. Entwicklungsgeschichtlich gehört viel Bewegung zu jedem Organismus dazu, deshalb treibe ich Sport (Joggen, Radfahren, Skifahren, Wandern). Auch hier ist der gemeinschaftliche Aspekt sehr wichtig (gemeinsam an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu kommen, gemeinsam Erschöpfung zu erleben). Das haben wir übrigens auch in die Krebstherapie eingeführt, schon in den 1980er Jahren in Hessen: Sport in der Brustkrebsnachsorge – keine amerikanische Erfindung (Hessische Krebsgesellschaft/Prof. Uhlenbruck, Köln).

Des Weiteren lese ich gerne Biographien oder ältere oder aktuelle Literatur, mein Lieblingsroman ist „Der Nachsommer“ von Stifter; je älter ich werde, umso mehr begreife ich die Genialität dieses Werkes. Meine Frau als begeisterte Klavierspielerin bringt mir die Musik nahe und fördert mein Interesse an Konzert und Theater. Mein Lieblingsfilm ist „Der mit dem Wolf tanzt“; mein Traum, als Teil der Natur zu fühlen und zu leben.

Welche Behandlungstrategien empfehlen Sie bei Krebserkrankungen, von welchen würden Sie eher abraten?

Bei den Behandlungsstrategien sollte man auf jeden Fall darauf achten, dass die Behandlungen wissenschaftlichen Überprüfungen standhalten. Aus meiner Sicht muß nicht jede Maßnahme durch eine randomisierte Phase-III-Studie abgesichert sein (70 % der Operationen in Gynäkologie und Chirurgie sind nicht über Studien abgesichert, sondern auf der Basis jahrzehntelanger Erfahrung geübter Operateure erprobt). Deshalb sollte man auch nachfragen, aus welcher Schule oder von welchen Fachgesellschaften eine Empfehlung kommt; man sollte sich auch die Ausbildung und den beruflichen Weg seines Therapeuten oder seiner Betreuer anschauen. Darüber hinaus erscheint mir wichtig, dass der Patient merkt, dass er in den Entscheidungsprozess mit einbezogen wird und der Therapeut ggf. mehrere Alternativen der Behandlung gegeneinander abwägt. Daran merkt man, ob er sich auskennt und auch kritisch mit vermeintlich sicheren Daten umgeht.

Was sind Ihrer Ansicht nach Irrtümer im Wissen um die Erkrankung Krebs und ihre Behandlung?

Einer der größten Irrtümer ist, dass mit der Diagnose „Krebs“ immer gleich der Tod in Verbindung gebracht wird; deshalb ist der psychische Schock bei Diagnose ungleich höher als bei Diabetes oder Herzinfarkt oder HPV-Infektion. Man muß mehr vermitteln: Krebs ist heilbar, heilbar bei oder durch Früherkennung, aber auch später durch potente Therapien. Bei den Krebsbehandlungen ist die Angst vor Nebenwirkungen ungleich größer als bei anderen Therapien. Hier muss man klar machen, dass in den letzten Jahren viele wenig toxische Therapien etabliert wurden und die toxischen Behandlungen durch Begleitmedikationen sehr viel verträglicher gestaltet werden können als früher. Krebs muss im weitesten Sinne als chronische Erkrankung verstanden werden. Mit einer chronischen Erkrankung kann man bei guter Lebenqualität sein Leben genießen und nebenbei Medikamente einnehmen. Wieviele Menschen leben heute noch in scheinbarer Gesundheit gut, weil sie nicht wissen, dass sie krank sind, da die Krankheit keine Symptome macht. Man kann sehr gut mit einer Krankheit leben bei einem hohen Maß an Lebensqualität; häufiger kann man das Leben so viel intensiver genießen.

Wie schätzen Sie den Einfluss psychologischer Faktoren auf die Krebsentstehung und den Krankheitsverlauf ein und auf welche Weise sollten sie bei der Therapieplanung berücksichtigt werden?

Psychologische Faktoren haben einen hohen Stellenwert. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass Krebs durch psychische Faktoren ausgelöst wird. Dennoch zeigen immer wieder Einzelschicksale, wie durch große Trauer auf seelischem Gebiet plötzlich Erkrankungen ausbrechen (Beispiele Colitis ulcerosa oder Neurodermitis u. a.). Positive Aspekte sind jedoch bewiesen für die Beeinflussung von Krankheitsverläufen. Jeder weiß von sich selber, wie viel leistungsfähiger er ist, wenn er „gut drauf ist“. Dies gilt auch für die Krebserkrankung, insbesondere Brustkrebs. Deshalb sollte hier früh geholfen werden; mit Beginn ab Diagnose zur Akzeptanz der Erkrankung und Bewältigung in der Folge. Patienten dürfen nicht in das tiefe Loch der Hoffnungslosigkeit fallen, sondern müssen ihre realen Chancen erkennen und aktiv zusammen mit allen Therapeuten den Weg gemeinsam gehen. In diesem Zusammenhang spielt die Brusterhaltende Therapie (BET) bei Frauen eine große Rolle. Für die meisten Frauen ist der Verlust dieses Organes gleichzusetzen mit dem Verlust der Weiblichkeit. Dies umso mehr, als es sich um ein „äußeres“ Organ handelt, wo die Außenwelt ständig sieht, dass etwas fehlt und der Körper beschädigt erscheint. Hier haben wir ein Beispiel, wie eine schonendere bzw. organbewahrende Operationsweise fast selbst schon zur Psychotherapie wird. Psychologische Führung sollte einerseits professionell durch geschulte Psychologen erfolgen. Das entbehrt aber nicht der Notwendigkeit, dass auch die behandelnde Ärzteschaft in dieser Richtung Qualitäten in der täglichen Arbeit entwickelt, da sie die Hauptfixpunkte darstellen. Hier ist nicht nur die medizinische Qualifikation, sondern auch die ärztliche gefragt. Mein hochverehrter Lehrer, Professor Klaus Dieter Schulz hat einmal gesagt: „Wir habe sehr viele qualifizierte Mediziner, leider aber zu wenig qualifizierte Ärzte.“

Welches sind Ihrer Meinung nach die erfolgversprechendsten Forschungsansätze in der Krebs-Therapie und welche Erwartungen haben Sie bezüglich zukünftiger Möglichkeiten?

Schon mit Beginn der Tamoxifen-Therapie sind wir auf die molekulare Ebene der Behandlungsstrategien gelangt. Dies erfährt jetzt 30 Jahre später Beschleunigung durch verbesserte und verfeinerte methodische Möglichkeiten. Die sog. Antikörpertherapie hat Einzug gehalten in die Behandlung und die besten Behandlungsfortschritte seit Jahrzehnten gebracht. Paradebeispiel ist das Trastuzumab, ein neuer monoklonaler HER2-Antikörper, der gegen den epidermalen Wachstumsfaktor 2 gerichtet ist, der auf bestimmten Tumorzellen angesiedelt ist. Somit können erstmals ganz gezielt diese Tumorzellen vernichtet werden.

Ein weiterer Antikörper steht mit Bevacizumab zur Verfügung, das gegen den VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) gerichtet ist, dieser Wachstumsfaktor ist zur Gefäßneubildung notwendig. An Gefäßen, die bösartige Tumoren zum Wachsen brauchen, wird die Gefäßeinsprossung durch den Antikörper verhindert, der Tumor trocknet aus. Die neuste Behandlungsmöglichkeit steht gerade kurz vor der Zulassung für das Mammakarzinom in Deutschland: Es zählt zu der neuen Substanzgruppe der „small molecules“, Substanzen, die in die Zelle eindringen (Antikörper binden an der Zelloberfläche) und somit in der Zelle ihre Wirkung entfalten können. In den USA und der Schweiz schon zugelassen, ist „Lapatinib“ bald in Deutschland verfügbar: Ob extrazelluläre Antikörpertherapie und intrazelluläre Small-Mol-Therapie in Kombination bessere Ergebnisse bringen als jede Therapie alleine, ist unklar und wird gerade in einer Studie, an der wir auch beteiligt sind, überprüft. Weitere derartige Behandlungen sind zu erwarten. Es hat also das Zeitalter der gezielten Krebstherapie begonnen.

Welche Rolle spielen Patientenmagazine bei der Deckung des Informationsbedarfs der Betroffenen und inwieweit trägt „Leben? Leben!“ aus Ihrer Sicht zur Aufklärung und Deckung des Informationsbedarfs bei?

Patientenmagazine haben aus meiner Sicht eine sehr wichtige Aufgabe, nämlich seriös richtige Information zu vermitteln. In der heutigen „Desinformationsgesellschaft“ hat die schnelle exklusive Erfolgsmeldung oft die Priorität. Schlagzeilen bestimmen die Information, z. B: „Neue Antikörpertherapie besiegt den Krebs!“ Hier muss vernünftige, allgemeinverständliche Aufklärungsarbeit geleistet werden, um nicht ständig falsche Hoffnungen zu wecken. Außerdem muss zwischen wirklich effektiven und Scharlatan-Behandlungen unterschieden werden. Die Aufklärung sollte allgemein verständlich sein und keine Fachliteratur ersetzen. Sie sollte zusätzlich Beratung ermöglichen und über Trends, neue Wege, aber durchaus auch über Fehlentwicklungen informieren. Unter dem Strich sollten unwissende Patienten sich mit einer solchen Information orientieren können. Man sollte immer Fachberater hinzuziehen, um im Wechselspiel der Meinungen sich der realen Wahrheit zu nähern, ohne den eigenen Charakter des Patientenmagazins zu verwässern. Darin sehe ich auch die Stärke von „Leben? Leben!“. Für mich hat dieses Magazin auf seinem Gebiet die Klasse eines Spiegel oder Fokus, mit dem Unterschied, dass hier „sensations“ und polarisierende Momente fehlen. Eine Zeitung, die für mich (wie auch eigentlich für alle Therapeuten) sehr wichtig und informativ ist, da ich dadurch sehe, wo Fragen, Bedürfnisse liegen und entstehen und ich daran meine persönliche und berufliche Verhaltensweise orientieren kann. Betroffene wissen: „Das ist meine Zeitung, der kann ich vertrauen, die ist nicht auf Sensationen aus. Hier werde ich nicht betrogen oder übervorteilt.“ Das Vertrauen ist wichtig. Ärzte können viel aus dieser Zeitung fachlich lernen.

Quelle: Leben? Leben! 1/2008

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