Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Das Wort „palliativ“ kommt von dem lateinischen Wort „pallium“, das „Mantel“ bedeutet. Palliativmedizin und -pflege, oftmals auch zusammengefasst unter dem Begriff „Palliative Care“, sollen den Kranken also umhüllen, sodass er sich geborgen und gut aufgehoben fühlt.
Palliativmedizin kommt oft bei Krebserkrankungen zum Einsatz, bei denen es in bestimmten Stadien der Erkrankung zu verschiedenen, z. T. starken Beschwerden (z. B. Schmerzen, extremer Müdigkeit) kommt und in denen der Kranke nicht nur medizinische, sondern auch seelische Unterstützung benötigt. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung geht es ihr nicht in erster Linie darum, dass Sterben so angenehm wie möglich zu machen, sondern der verbleibenden Lebenszeit so viel Qualität wie möglich zu verleihen. Die Palliativmedizin ist also nicht aufs Sterben, sondern aufs Leben ausgerichtet.
Mediziner und Wissenschaftler sind sich mittlerweile einig, dass Palliativmedizin auch eine Berechtigung bei chronischen, unheilbaren Erkrankungen wie MS hat. Der Grund: Oft sind auch im Verlauf der MS die Beschwerden (z. B. Schmerzen) stark. Zudem bedürfen auch viele MS-Patienten zeitweilig einer intensiveren und vor allem raschen psychosozialen und pflegerischen Unterstützung. Palliativmedizin könnte diese, bei der herkömmlichen Behandlung nicht erfüllten Bedürfnisse von schwer betroffenen MS-Betroffenen stillen. Sie ist auf das Erhalten und auf die Besserung der Lebensqualität ausgerichtet und sollte bei MS nicht nur am Lebensende, sondern in bestimmten kritischen Situationen zum Einsatz kommen. Oft benötigen MS-Patienten nur zu bestimmten Zeiten die Unterstützung der Palliativmedizin, sodass die Betreuung durch Palliativmediziner und -pflegekräfte nicht bis zum Lebensende notwendig wäre, sondern möglicherweise immer wieder einmal zwischendurch.
Der Vorteil der Palliativmedizin ist, dass in diesem Bereich Spezialisten tätig sind, die sich etwa mit der Linderung starker Schmerzen, aber auch mit bei MS häufigen, sehr belastenden Beschwerden wie Fatigue auskennen. Die Eindämmung dieser belastenden Symptome gehört zu ihren regelmäßigen Aufgaben.
Ein Forschungsprojekt des King’s College in London, bei dem MS-Patienten durch ein Palliativteam versorgt wurden, ergab, dass die MS-Betroffenen sich bei der Betreuung durch Palliativpflegekräfte nicht nur gut aufgehoben und angenommen fühlten, sondern dass es dem Team auch gelang, starke Beschwerden (insbesondere Schmerzen) wirksam zu lindern. Gleichzeitig zeigte sich, dass in aller Regel drei Beratungen der Patienten mit dem Palliativteam ausreichten, um die Probleme zu bewältigen. Auch am Zentrum für Palliativmedizin der Universitätsklinik Köln gibt es mittlerweile die Möglichkeit, MS-Patienten palliativmedizinisch zu betreuen. Doch auch MS-Betroffene in anderen Teilen Deutschlands können sich bei Bedarf an die palliativmedizinischen Einrichtungen in ihrer Nähe wenden.
Eine 2008 in der Zeitschrift für Palliativmedizin veröffentlichte Studie ergab, dass sich die Versorgung von Patienten, die sich schwer von MS betroffen fühlten, nicht nur auf die medizinische Behandlung beschränken darf. Stattdessen wünschten sich die Betroffene in vielen Fällen eine bessere soziale Integration und mehr Hilfen im Alltag. Diese Lebensbereiche werden von den im Bereich Palliative Care Tätigen in aller Regel bei der Versorgung mitbedacht.
Zu den häufigsten Symptomen bei MS gehört Fatigue. Die krankhafte Erschöpfung empfinden viele von MS Betroffene als besonders belastend, da sie sie in ihrem Leben unter Umständen stark einschränkt, ihnen z. B. die Möglichkeit nehmen kann, Treffen mit Freunden längere Zeit im Voraus zu planen. Auch bei weniger schwer Erkrankten kann in solchen Fällen eine palliative Versorgung sinnvoll sein. Das Gleiche gilt für Schmerzen. Eine auf die individuellen Beschwerden abgestimmte Schmerztherapie ist bei MS (unter Umständen mithilfe einer Schmerzpumpe) daher ebenfalls Teil einer palliativen Versorgung.
MS-Betroffene bzw. ihre Angehörigen sollten bei Symptomen, die das Leben stark beeinträchtigen, darüber nachdenken, sich in einem von der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft (DMSG), zertifizierten MS-Zentrum oder in einer zertifizierten und damit auf MS spezialisierten Arztpraxis behandeln zu lassen. Denn die behandelnden Ärzte dort arbeiten mit Medizinern aller Fachrichtungen zusammen, sodass eine Überweisung etwa zu einem Schmerztherapeuten in der Regel unproblematisch ist. Zudem bilden sich die dort tätigen Ärzte nicht nur ständig über neue Behandlungsmöglichkeiten bei MS fort, sondern auch über die mit MS einhergehenden Beschwerden und die dafür infrage kommenden Therapien.
Wer diese Möglichkeiten nicht hat, etwa, weil er auf dem Land lebt, wo es nur wenige Fachärzte gibt, sollte sich nach einer medizinischen Rehabilitation erkundigen. Dort kann eine Palliativversorgung in die Wege geleitet werden, die auch zu Hause weitergeführt werden kann, etwa durch speziell geschulte Kräfte eines Pflegedienstes. Am Lebensende ist auch die Palliativbetreuung in einem Hospiz möglich.
In den Fällen, in denen sich abzeichnet, dass die Lebenserwartung von Menschen mit MS begrenzt ist, sollten Palliativmediziner und -pflegekräfte hinzugezogen werden. Eine Palliativversorgung muss nicht in einem Krankenhaus oder in einem Hospiz erfolgen, sondern kann auch zu Hause, in der gewohnten Umgebung stattfinden. Dafür hat § 37b des fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) die Möglichkeit der sog. spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, kurz SAPV, vorgesehen. Die Patienten werden i. d. R. vom behandelnden Arzt in das sog. Palliativnetz eingeschrieben. Sie haben Anspruch auf ärztliche und pflegerische Leistungen insbesondere zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle, so das SGB V, um in der vertrauten Umgebung bleiben zu können. Erster Ansprechpartner bleibt dabei stets der behandelnde Arzt (oft der Hausarzt). Ein Palliativmediziner wird bei Bedarf hinzugezogen.
Nicht nur die medizinische Pflege spielt im Bereich Palliative Care zu diesem Zeitpunkt eine Rolle, sondern auch, sowohl dem Erkrankten als auch den Angehörigen seelischen Beistand zu bieten. Mediziner und Pflegende versuchen zudem, durch eine weitgehende Kontrolle der Beschwerden dem Patienten so weit wie möglich ein aktives Leben zu ermöglichen – sei es, dass die Erkrankten einfache Alltagstätigkeiten durchführen oder ins Freie gelangen können. In der Sterbephase versuchen Palliativkräfte den Kranken und seine Angehörigen zu begleiten und dem Patienten ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Sie spenden Trost und stehen den Kranken und ihren Familienmitgliedern auf Wunsch als Gesprächspartner zur Verfügung.
Quellen:
Befund MS 3/2020
Befund MS 2/2016