Kurzsichtige Menschen leiden allgemein gesprochen unter einer Fehlsichtigkeit oder auch Ametropie, die sich darin äußert, dass sie weiter entfernte Objekte unscharf wahrnehmen, während Objekte im Nahbereich gut gesehen werden können.
Wir nehmen Objekte nur klar und deutlich wahr, wenn unser Auge die parallel einfallenden Lichtstrahlen in einem Brennpunkt zusammenführt und dieser direkt auf der Netzhaut liegt. Kurzsichtige Menschen weisen meist einen zu langen Augapfel auf. Die Brechkraft ihrer Linse ist eher selten gestört. Der bilderzeugende Brennpunkt liegt bei Kurzsichtigkeit vor der Netzhaut. Die Folge ist, dass Bilder, die in der Ferne liegen, unscharf wahrgenommen werden. Bilder aus dem Nahbereich allerdings sind klar umrissen zu sehen, oftmals besser als bei Normalsichtigen.
Ähnlich wie ein Kameraobjektiv stellt sich auch das menschliche Auge je nach Bedarf auf Nah- oder Fernsicht ein. Das Objektiv entsteht durch die Kombination von Hornhaut und Linse. Die Linse ist eine elastische Scheibe, die an Muskelbändern hinter der Iris (Regenbogenhaut) verankert ist. Um diese Konstruktion herum befindet sich ein Ringmuskel (Ziliarmuskel), welcher für das Einstellen auf Nah- oder Fernsicht verantwortlich ist. Betrachten wir nun ein Objekt in unserer Nähe, spannt sich der Ringmuskel an, was dazu führt, dass sich die Bänder, welche die Linse halten, entspannen. Die Linse sackt etwas in sich zusammen und erzeugt nun eine höhere Brechkraft. Die Brennweite wird dadurch kleiner und der Brennpunkt wird etwas nach vorn geschoben.
Bei der Weitsicht hingegen entspannt sich der Ringmuskel und sorgt so dafür, dass sich die Muskelbänder, die die Linse halten, anspannen. In der Folge strafft sich auch die Linse, was ihre Brechkraft senkt. Die Brennweite wird größer und der Brennpunkt etwas nach hinten verschoben.
Ist ein Mensch kurzsichtig, ist sein Ringmuskel bereits derart entspannt, dass er sich nicht weiter entlasten kann, um das Bild in der Ferne zu fokussieren. Häufig sieht man Menschen mit Kurzsichtigkeit in die Ferne blinzeln. Die Betroffenen versuchen damit ihre Sehschärfe zu verbessern, da sich die Zerstreuungskreise oder auch Unschärfekreise auf der Netzhaut durch das Blinzeln ein wenig verkleinern lassen.
Der Begriff Zerstreuungskreis kommt aus der Fotografie. Wenn man das Objektiv einer Kamera auf eine bestimmte Entfernung einstellt, z. B. 3 Meter, dann wird alles, was sich genau in dieser Entfernung befindet, klar umrissen abgebildet. Objekte, die vor oder hinter dieser Grenze liegen, werden dagegen je nach Entfernung von der 3 Meter–Marke mehr oder weniger stark unscharf. Ab einer bestimmten Entfernung vom eingestellten Fokus werden die einzelnen Bildpunkte, die ein Objekt zusammensetzen, nicht mehr als Punkte, sondern als Scheiben oder Kreise wahrgenommen. Das sind dann die sogenannten Zerstreuungskreise. Da unser Auge ähnlich einer Kamera funktioniert, finden sich also auch dort Zerstreuungskreise.
Neben der angeborenen und vererbbaren Kurzsichtigkeit, die aus einer stärkeren Dehnung der Netz- und Lederhaut resultiert, können andere Grunderkrankungen wie z. B. Diabetes oder Bluthochdruck eine Kurzsichtigkeit nach sich ziehen. Ein Unfall, bei dem ein oder beide Augäpfel in Mitleidenschaft gezogen wurden, kann in der Folge auch die Muskelbänder, die die Linse halten, beschädigen. Dadurch wären die Bänder nicht mehr in der Lage, sich anzuspannen, um die Linse auf Weitsichtigkeit einzustellen. Die Betroffenen leiden dann ebenfalls unter Kurzsichtigkeit. Auch ein zu hoher Augeninnendruck in der Kindheit (Grüner Star) kann eine Kurzsichtigkeit hervorrufen, da sich dadurch der Augapfel verlängert.
Im Laufe des Lebens verlieren unsere Muskeln Stück für Stück ihre Spannkraft. Dies ist ein natürlicher Vorgang, der nicht zu stoppen ist. So lassen auch die Muskeln, die für die Einstellung der Nah- und Fernsicht unserer Augen zuständig sind, mit der Zeit nach und die Betroffenen benötigen eine Sehhilfe. Dennoch hört man des Öfteren, dass ältere Menschen, die bereits für die Nahsicht eine Lesebrille benötigten, plötzlich nahe Objekte wieder gut und ohne Brille wahrnehmen können. In der Regel leiden diese Menschen an einer besonderen Form des Grauen Stars. Er schreitet sehr langsam voran und trübt weniger die Linse, sondern verstärkt eher ihre Brechkraft. Die Betroffenen können plötzlich auf ihre Lesebrille verzichten und erkennen Dinge in ihrem näheren Umfeld wieder deutlicher. Der Effekt ist allerdings nur vorübergehend. Zudem benötigen die Betroffenen zu diesem Zeitpunkt weiterhin eine Sehhilfe für die Ferne, da die Weitsicht meist unscharf und eingeschränkt bleibt.
Melissa Seitz