Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
Seit über 100 Jahren wird die Misteltherapie in der Krebsbehandlung eingesetzt. Viele Studien belegen, dass sie Begleiterscheinungen der Krebstherapie lindern und die Lebensqualität verbessern kann. Dr. Steffen Wagner, Vorsitzender der Saarländischen Krebsgesellschaft und Vorstandsmitglied in der NATUM e. V., erklärt, welche positiven Effekte eine Misteltherapie hat und wie eine Behandlung konkret aussieht.
Die Mistel wurde erstmals 1917 für die Behandlung von Krebs eingesetzt. Damals wurde sie allerdings noch als Krebsmittel gegen die Erkrankung verwendet. Heute kommt die Misteltherapie ausschließlich als unterstützendes Medikament zum Einsatz, um die Lebensqualität der Patientinnen während oder nach der Therapie zu verbessern. Seit den 1970er- und 80er-Jahren hat sich die Anwendung im Rahmen der Supportivtherapie etabliert.
Grundsätzlich kommt es zu einer allgemeinen Verbesserung der Lebensqualität – und zwar über alle soliden Tumorarten hinweg. Die mit dem Fatigue-Syndrom einhergehenden Beschwerden nehmen ab. Es kommt zudem zu einer Verbesserung des Tag-Nacht-Rhythmus und der Schlafqualität. Außerdem lindert die Misteltherapie Übelkeit und verbessert gleichzeitig den Appetit. Darüber hinaus hat sie einen positiven Effekt auf das emotionale Wohlbefinden. Psychische Belastungen wie Depressionen, Angstzustände oder Reizbarkeit nehmen ab. Die Patientinnen können sich durch die Therapie auch besser mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen. Und neben diesen wissenschaftlich belegten Effekten haben die Betroffenen das Gefühl, selbst etwas zur Genesung beitragen zu können. Das ist sehr wertvoll.
Die Mistel setzt sich aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammen. Dazu gehören unter anderem die Mistellektine und die Viskotoxine. Diesen und anderen Bestandteilen in der Pflanze werden verschiedene Wirkungen auf den Körper zugesprochen, die auch durch Studien belegt sind. So haben sie eine immunmodulierende Wirkung, das bedeutet, sie stimulieren das Immunsystem. Eine Mistelbehandlung erhöht auch die Anzahl der weißen Blutkörperchen. Einzelne Bestandteile sind darüber hinaus in der Lage, den Zelltod von Tumorzellen herbeizuführen. Zudem kommt es durch die Misteltherapie zur Freisetzung von Betaendorphinen, einem körpereigenen Glückshormon. Das bewirkt eine Stimmungsaufhellung.
Das Stoffgemisch der Pflanze ist wichtig und verantwortlich für das Eintreten der positiven Effekte. Außerdem kommen die Präparate von unterschiedlichen Firmen und unterschiedlichen Wirtsbäumen. Hier gilt es herauszufinden, was im Einzelfall im besten hilft.
Bei den Hausärzten oder Ärzten für Naturheilkunde. Es gibt auch immer mehr Onkologen, die sich mit der Misteltherapie auskennen, vor allem gynäkologische Onkologen, weil es viele Studien zur Wirksamkeit der Misteltherapie beim Mammakarzinom gibt.
Die Wirkstoffe werden zwei- bis dreimal pro Woche unter die Haut gespritzt. Die Patientinnen werden angelernt, damit sie dies selbst tun können. Am Anfang ist es außerdem wichtig, die richtige Dosis für die Behandlung zu finden. Ein Hinweis darauf, ob der Körper auf die Behandlung reagiert, gibt die Hautreaktion an der Einstichstelle. Sie ähnelt einem Mückenstich und sollte nicht größer als ein Zwei-Euro-Stück sein und nach ein bis zwei Tagen wieder abklingen. Erfolgt eine deutlichere Hautreaktion, ist die Dosis zu hoch. Ist keine Reaktion der Haut zu sehen, muss die Dosis erhöht werden.
Idealerweise bereits während einer Chemotherapie. Es empfiehlt sich außerdem, die Misteltherapie dann mehrere Jahre durchzuführen.
Die Kosten werden von den Kassen im Rahmen einer palliativen Behandlung übernommen. Für alle anderen Erkrankten aber nicht. Es gibt aber Kassen, die die Kosten als Service für ihre Patientinnen für bis zu einem Jahr übernehmen. Es lohnt sich also, bei der Krankenkasse nachzufragen.
Es kann zu allergischen Reaktionen wie einem Hautausschlag am ganzen Körper kommen. Das ist allerdings sehr selten. Um dies zu testen, wird der Patientin in der Regel vor der Behandlung eine verdünnte Testdosis gespritzt. Außerdem kann sich während der Therapie die Temperatur um ein bis eineinhalb Grad erhöhen. Die Temperatur steigt dann am Morgen an und fällt bis zum Abend wieder ab. Diese Nebenwirkung ist aber gerade für Patientinnen, die während einer Chemotherapie ohnehin häufig unter Unterkühlung leiden, sogar ein positiver Nebeneffekt.
Bei Leukämien und Lymphomen sollte man von einer Misteltherapie absehen, da die Therapie auf das Immunsystem wirkt und deshalb die Krankheit anheizen könnte. Auch bei allgemeinen Autoimmunerkrankungen ist eine Behandlung nicht zu empfehlen, etwa bei Morbus Crohn oder Erkrankungen der Schilddrüse. Bei allen anderen sogenannten soliden Tumoren sind aber keine negativen Wechselwirkungen bekannt.
Nein. Keine der bisherigen Studien gibt einen Hinweis darauf, dass es unerwünschte Interaktionen mit Medikamenten geben könnte. Im Gegenteil. Es sieht sogar so aus, als könnte sich die Wirkung einzelner Medikamente, wie z. B. Antikörper, unter der Misteltherapie sogar noch verbessern.
Quelle: Leben? Leben! 2/2020