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Schilddrüsenkrebs

Als Schilddrüsenkrebs werden bösartige Tumoren bezeichnet, die aus den Zellen der Schilddrüse entstehen. Schilddrüsenkrebs entsteht dann, wenn das Erbgut von Zellen der Schilddrüse soweit geschädigt ist, dass sie sich unkontrolliert teilen und unkontrolliert wachsen.

Schilddrüsenkrebs
© iStock- Marizza

Online-Tumorboard Schilddrüse: Zugang zu aktuellem Wissen und neuesten Therapien

Experteninterview mit Prof. Dr. Andreas Zielke

Seit August 2020 gibt es für Patient*innen mit einem fortgeschrittenen Schilddrüsenkarzinom die Möglichkeit, dass ihre Ärztinnen und Ärzte eine kollegiale Mitbeurteilung durch ein nationales Expertengremium nachfragen können – im neuen, interdisziplinären Online-Tumorboard Schilddrüse (www.onlinetumorboard-schilddrüse.de).

Die Idee zum Aufbau des virtuellen Tumorboards ging von den Schilddrüsenkrebsexpert*innen Prof. Dr. Andreas Zielke, Stuttgart, Prof. Dr. Michael Kreißl, Universitätsklinikum Magdeburg, Prof. Dr. Christine Dierks, Universitätsmedizin Halle, und Prof. Dr. Dr. Matthias Kroiß, Klinikum der Universität München, aus.

Medizinische Expert*innen aller Disziplinen kommen in einem virtuellen Tumorboard auf einer Online-Plattform zusammen, um für Betroffene mit komplexen oder fortgeschrittenen Schilddrüsenkarzinomen über die optimale Behandlung zu beraten und in der sich derzeit rasch weiterentwickelnden Studienlandschaft mit den vielen neuen Therapien die Möglichkeiten zu prüfen.

Herr Prof. Zielke, bitte erklären Sie die Besonderheiten von schwer zu behandelndem radiojodnegativem Schilddrüsenkrebs.

Als Schilddrüsenkarzinom werden die bösartigen Tumoren der Schilddrüse bezeichnet. Sie sind zwar die häufigsten Krebserkrankungen des endokrinen, d. h. Hormone bildenden Systems, aber sie sind mit nur 1 Prozent aller Krebserkrankungen doch sehr selten. Die häufigsten Schilddrüsenkrebse sind das sogenannte papilläre Karzinom und das follikuläre Karzinom, die auch als differenzierte Schilddrüsenkarzinome bezeichnet werden. Sie machen zusammen etwa 85 Prozent aller Fälle aus und sind durch eine Operation und eine Radiojodtherapie, d. h. die einmalige Einnahme von radioaktivem Jod, sehr häufig heilbar.

Unter den verbleibenden sind z. B. die sogenannten medullären Schilddrüsenkarzinome (bis 10 Prozent) oder die schlecht differenzierten und anaplastischen Schilddrüsenkarzinome (3–5 Prozent). Bei diesen besonderen Krebsformen funktioniert die Radiojodbehandlung nicht. Aber auch bei den differenzierten Schilddrüsenkarzinomen gibt es immer wieder einmal Betroffene, bei denen der Schilddrüsenkrebs doch nicht auf eine Radiojodtherapie reagiert (1 Prozent).

Die schlecht differenzierten wie auch die anaplastischen Schilddrüsenkarzinome sind nicht nur schwer zu behandeln, sondern sind oft auch rasch das Leben bedrohende Formen des Schilddrüsenkrebses. Zugleich sind diese besonderen Fälle sehr selten – betroffen sind in Deutschland nur etwa 200 Patient*innen pro Jahr.

Welche Therapiemöglichkeiten kommen hierfür derzeit infrage?

Die differenzierten Schilddrüsenkarzinome sind fast immer durch eine Operation und eine anschließende Radiojodtherapie heilbar. Schilddrüsenkarzinome, die nicht auf eine Radiojodbehandlung ansprechen, sind, wie gerade schon erwähnt, selten. Aber sie können dann gelegentlich rasch fortschreitende Verläufe zeigen.

Dann kommen in den letzten Jahren entwickelte, sogenannte zielgerichtete Therapien zum Einsatz. Diese setzen an den besonderen Eigenschaften an, die den Krebszellen das rasche Wachstum ermöglichen. So werden z. B. Medikamente eingesetzt, die das Wachstum begünstigende Informations- und Kommandowege der Krebszellen unterbrechen (z. B. Tyrosinkinaseinhibitoren, TKI). Diese besonderen Eigenschaftsmerkmale können heute in den auf Schilddrüsenkarzinomen spezialisierten Zentren überprüft werden. Das eröffnet dann die Möglichkeit einer gegen solch eine spezifische Veränderung im Schilddrüsenkrebs gezielt gerichteten Therapie. Daher rührt der Ausdruck einer „zielgerichteten“ oder „targetierten“ Therapie.

Die schlecht differenzierten und anaplastischen Schilddrüsenkarzinome wachsen sehr schnell und streuen früh und sind deshalb oft die bedrohlichste Form des Schilddrüsenkrebses. Hier werden nach einer Operation in der ersten Linie die klassische Strahlen- und Chemotherapie eingesetzt und in der zweiten Linie, neben einigen wenigen zielgerichteten Therapien auch sogenannte immunonkologische Therapien. Alle diese neuen, speziellen Therapien sind aber zurzeit nur innerhalb von Studien möglich.

Es ist dabei offensichtlich, dass die Therapien und die Verläufe immer komplexer werden und es kann für die Betroffenen herausfordernd sein, die mit der Behandlung dieser seltenen Erkrankung vertrauten Expert*innen zu finden. Insofern ist es gerade bei den Schilddrüsenkarzinomen, die nicht auf die „üblichen“ Therapien ansprechen, ganz wichtig, Zugang zu diesem aktuellen Wissen und zu den neuesten Therapien zu haben. Und, wenn es nötig und möglich ist, auch Zugang zu den aktuell laufenden Therapiestudien.

Was bietet das Online-Tumorboard in solchen Fällen?

Tumorboards sind in den onkologischen Zentren fest etabliert. Sie nutzen das Fachwissen der verschiedenen medizinischen Disziplinen, um für einen individuellen Fall eine optimale Therapie festzulegen.

Im neuen Online-Tumorboard Schilddrüse kommen in gleicher Weise Expert*innen verschiedener Disziplinen speziell für diese komplexen Fälle von Schilddrüsenkrebs zusammen. Diese Spezialisten gibt es an wenigen Zentren und sie sind in ganz Deutschland verteilt. Sie können hier nun gemeinsam den bestmöglichen Rat für die weitere Diagnostik und Therapie eines individuellen Falls erarbeiten. Durch das digitale Format kann der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin sich auch an der Besprechung beteiligen.

Der Vorteil eines solchen Konzeptes ist, dass die nötige Expertise schnell und ortsunabhängig zusammengeführt werden kann. Die kollegiale Mitbeurteilung durch die Schilddrüsenkrebs-Expert*innen kann den behandelnden Arzt/die behandelnde Ärztin unterstützen und z. B. Therapiestrategien absichern oder Impulse für neue Therapien oder neue Diagnostik geben.

Und die Betroffenen profitieren unmittelbar von der großen Behandlungserfahrung der Expert*innen von der Möglichkeit der Beteiligung an den aktuellen Therapiestudien.

Wie bekannt ist das Online-Tumorboard bereits bei Ihren Kolleg*innen? Können Patient*innen ihren behandelnden Arzt/ihre behandelnde Ärztin auch auf das Tumorboard aufmerksam machen?

Vorgestellt wurde das Online-Tumorboard Schilddrüse auf Fachtagungen wie der Jahrestagung der Nuklearmediziner oder auf der Expertentagung Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Aber auch die Selbsthilfegruppen sind aktiv beteiligt und beteiligen sich an der Weiterentwicklung und der Verbreitung des Wissens um dieses neue Tumorboard (www.sd-krebs.de).

In den ersten Wochen seit der Einführung wurden bereits mehr als 50 Patient*innen besprochen und oft ergaben sich neue Aspekte oder die Möglichkeit, in eine der laufenden Studien mit den neuen Therapien zu vermitteln. Und das Format ist sehr offen gestaltet. Denn prinzipiell können alle ratsuchenden Ärzte und Ärztinnen ihre Fälle anmelden. Alle Betroffenen können ihre Behandler auf dieses neue Angebot aufmerksam machen. Auf der Webpage www.onlinetumorboard-schilddrüse.de sind dann auch alle Unterlagen zur Aufklärung und das Formular für die Einwilligung in die Fallbesprechung als Download hinterlegt.

Angemeldet werden die Betroffenen stets von ihren behandelnden Ärzt*innen. Medizinische Dokumentare des Onkologischen Schwerpunkt Stuttgart kümmern sich dann darum, dass die für das Board erforderlichen Informationen zusammengetragen werden und verfügbar sind. So haben alle Teilnehmer*innen am Tumorboard die Übersicht über den individuellen Fall und den Verlauf, was eine optimale Planung erlaubt. Die gemeinsam entwickelten Behandlungsstrategien schließen auch immer explizit die Frage der Teilnahme an einer klinischen Studie mit den neuen Therapeutika ein.

An den derzeit alle zwei Wochen stattfindenden virtuellen Tumorboards können die zuweisenden Kolleg*innen auch selbst teilnehmen und sie bringen ihre Erfahrungen zu ihrem Patient*innen ein und beteiligen sich so aktiv an der Diskussion. Denn das ist der entscheidende Vorteil eines Online-Tumorboards für das Schilddrüsenkarzinom: die Verfügbarkeit der speziellen Expertise im digitalen Raum, unabhängig vom Wohnort des Patienten/der Patientin und unabhängig vom Standort des Behandlers.

Wie ist die aktuelle Forschungslage zum radiojodnegativen Schilddrüsenkrebs? Gibt es neue Therapiemöglichkeiten, die derzeit erforscht werden?

Seit einigen Jahren sind die bereits oben erwähnten Tyrosinkinase-Hemmer für die Behandlung der radiojodnegativen Schilddrüsenkarzinome zugelassen und damit für alle Betroffenen verfügbar. Und die TKI sind in vielen Fällen auch wirksam und auch über eine längere Zeit.

Aber nicht alle Schilddrüsenkarzinome reagieren gut oder lange genug auf diese TKI. Dann sind andere zielgerichtete Therapien zu prüfen. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Patient*innen an die Expertenzentren geleitet werden, wo dann nach qualifizierenden Merkmalen im Schilddrüsenkarzinom gesucht werden kann. Es gibt bereits eine kleinere Zahl gut belegter Therapiemöglichkeiten, die ganz gezielt auf besondere Veränderungen von Genen oder deren Produkte in den Schilddrüsenkarzinomen eingesetzt werden – und diese Therapien werden auch an den spezialisierten Zentren angeboten.

Das betrifft auch die immunonkologischen Therapien. Darunter versteht man recht neue Behandlungsstrategien, die auch bei anderen Tumorarten bereits erfolgreich angewendet werden. Durch sie soll das körpereigene Immunsystem wieder in die Lage versetzt werden, den Krebs aktiv zu bekämpfen. Denn durch verschiedene Strategien können Krebszellen dem Immunsystem entkommen bzw. es unterdrücken. Die Immunzellen können die Krebszellen dann nicht bekämpfen und werden sogar selbst zum Opfer. Die neuen immunonkologischen Therapien helfen, dass die eigene, gegen Krebszellen gerichtete Immunreaktion wieder aktiviert wird. Und da gibt es für die aggressiven Schilddrüsenkrebse ganz entscheidende Neuerungen, die in einigen speziellen Zentren bereits eingesetzt werden.

Insofern ist es gerade bei den aggressiven Schilddrüsenkarzinomen und bei den komplex verlaufenden, radiojodnegativen Karzinomen, die nicht auf die „üblichen“ Therapien ansprechen, ganz wichtig, Zugang zu diesem aktuellen Wissen und zu den neuesten Therapien zu haben. Und, wenn es nötig und möglich ist, auch Zugang zu den aktuell laufenden Therapiestudien.

Quelle: Befund Krebs 1/2021

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