Mit dem Begriff Diabetes bzw. Diabetes mellitus bezeichnet man eine Erkrankung des Stoffwechsels, die chronisch verläuft und deren Kennzeichen erhöhte Blutzuckerwerte sind. Diesen liegt eine Störung oder ein Wegfall der Insulinproduktion oder eine Insulinresistenz zugrunde.
Viele Typ-1-Diabetiker haben sie schon einmal erlebt: Eine Hypoglykämie. Sie ist, zumindest in milder Form, eine relativ häufige Komplikation bei der Insulintherapie und tritt bei Menschen mit Typ-1-Diabetes wesentlich häufiger auf als bei solchen mit Diabetes Typ 2, wobei letztere natürlich auch betroffen sein können, vor allem, wenn sie ebenfalls insulinpflichtig sind. Gefürchtet sind Unterzuckerungen deshalb, weil sie, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden, lebensgefährlich werden können.
Fest steht, dass zu viel Insulin im Organismus ist. Während bei stoffwechselgesunden Menschen die Insulinproduktion weit über den kritisch-tiefen Blutzuckerwerten einfach stoppt, ist das Insulin bei Diabetikern durch die Injektionen bereits im Körper. Die Folge: Die Blutzuckerwerte sinken immer weiter ab, wenn nicht gegengesteuert wird.
Ab einem Blutzuckermesswert von etwa 3,3 mmol/l (60 mg/dl) treten Symptome auf wie Schwitzen, Unruhe, Zittern und Heißhunger, berichtet die Pharmazeutische Zeitung. Wenn der Blutzuckerspiegel auf 2,8 mmol/l (50 mg/dl) fällt, liegt klinisch gesehen eine Hypoglykämie vor.
Wie Priv.-Doz. Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer, Bad Mergentheim, in einem Artikel für die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie, DDG „Diabetes und Psychologie e. V.“ ausführt, kommt es im Bereich von 2,8 bis 3,6 mmol/l (50 bis 65 mg/dl) zu einer hormonellen Gegenregulation, die auch die körperlichen Symptome der Unterzuckerung auslösen: Der Körper schüttet Hormone wie Adrenalin, Glukagon oder Cortisol aus, um Glukose aus der Leber freisetzen zu können. Mit der Zeit allerdings, so Dr. Kulzer, „verschiebt sich die Schwelle nach oben. Die Hormone werden schon bei höheren Blutzuckerwerten ausgeschüttet. Umgekehrt kann eine tiefe Blutzuckereinstellung dazu führen, dass die Schwellen abgesenkt werden.“ Dies erklärt, warum manche Diabetiker trotz niedriger Blutzuckerwerte ihre Unterzuckerungen nicht bemerken.
Ab einem Messwert von 2,8 mmol/l (50 mg/dl) treten dann auch erste kognitive Einschränkungen auf, man kann sich schlechter konzentrieren, wird müde und langsam, so die Pharmazeutische Zeitung. Bei unter 40 mg/dl kommt es aufgrund des Glukosemangels im Gehirn zur Lethargie und zur zunehmenden Unfähigkeit, auf Umgebungsreize zu reagieren. Schließlich tritt Bewusstlosigkeit ein und es kommt zu Krampfanfällen.
Wer bei den ersten Symptomen sofort reagiert, indem er schnell ins Blut gehende Kohlenhydrate zu sich nimmt, kann Schlimmeres abwenden. Dennoch ist Vorsicht besser als Nachsicht, mögen viele Betroffene denken. Zumal in Situationen wie beim Autofahren oder bei der Arbeit Unterzuckerungen auch lebensgefährlich sein können – für einen selbst und für andere. Das Problem bzw. Dilemma der Diabetestherapie ist, so beschreibt Dr. Kulzer: „Möglichst gute Blutzuckerwerte sind günstig um Folgeerkrankungen zu vermeiden, erhöhen aber das Risiko von Unterzuckerungen. Eine schlechtere Blutzuckereinstellung vermindert das Unterzuckerungsrisiko, ist aber nicht günstig für die Entwicklung von Folgekomplikationen.“
Studien haben dabei gezeigt, dass das Risiko, schwere Unterzuckerungen zu erleiden, nicht für alle Typ-1-Diabetiker gleich ist. So zeigt die amerikanische DCCT-Studie (Diabetes Control and Complication Trial), die mit einer Laufdauer von zehn Jahren bisher umfangreichste Langzeitstudie zum Typ-1-Diabetes, dass jeder dritte Typ-1-Diabetiker während der Studiendauer überhaupt keine schwere Unterzuckerungen erlebte, jeder Fünfte jedoch gehäuft mit schweren Unterzuckerungen zu kämpfen hatte.
Leider begünstigen häufige Unterzuckerungen, dass die Sensibilität für die Anzeichen einer Hypoglykämie abnimmt, da die hormonelle Gegenregulation weniger ausgeprägt ist, berichtet das Deutsche Diabetes-Zentrum (DDZ). Gefährdet sind nach Angaben der Pharmazeutischen Zeitung daher vor allem Patienten mit langer Erkrankungsdauer, gestörter Gegenregulation und einer schweren Polyneuropathie.
Weitere Gründe für das Auftreten von Unterzuckerungen können eine mangelnde Schulung des Patienten, ein Zuviel an Insulin aufgrund von Fehleinschätzungen der gegessenen Kohlenhydrate, Sport oder vermehrte körperliche Belastung ohne Reduktion der Insulindosis, ein überlanger Spritz-Ess-Abstand sowie eine zu hohe Basalrate des Insulins sein, so die Pharmazeutische Zeitung. Aber auch der (regelmäßige) Konsum von Alkohol ist keine zu unterschätzende Ursache für Hypoglykämien.
Für Diabetiker, bei denen bereits die Wahrnehmung für Hypoglykämien herabgesetzt ist, kann eine Vermeidung von tiefen Blutzuckerwerten über einige Zeit hinweg eine erste Lösung darstellen, schreibt Dr. Kulzer. Der Körper „gewöhnt“ sich wieder an die höheren Werte und die Hormonausschüttung normalisiert sich. Zudem gibt es spezielle Wahrnehmungstrainings für die Symptome einer Hypoglykämie. Studien zeigen, dass gerade bei Menschen, die schon lange erkrankt sind, die Warnzeichen für Unterzuckerung nicht rechtzeitig erkannt werden.
Sich selbst und seinen Körper gut zu kennen, ist daher ebenfalls wichtig für ein gutes Diabetesmanagement. Hierbei kann ein Hypoglykämie-Tagebuch helfen. Laut Dr. Kulzer kann es sich lohnen, bei bereits aufgetretenen Hypoglykämien auf Ursachensuche zu gehen. Dabei sollte man sich folgende Fragen stellen, schreibt der Experte:
Quelle: Befund Diabetes 3/2014