Vulvakrebs ist eher selten, er macht nur etwa 4 bis 5 Prozent aller Genitalkarzinome aus. Frauen, die von Vulvakrebs betroffen sind, leiden meist unter Tumoren an den großen Schamlippen, aber auch die kleineren Schamlippen und die Klitorisregion können betroffen sein.
Vorab das Wichtigste: Man muss sich bei einer Krebserkrankung wie dem Vulvakarzinom im Klaren sein, dass es ohne eine Operation nicht geht, denn Krebs ist eine lebensbedrohliche Erkrankung und andere Behandlungsalternativen, wie z. B. Strahlen-/Chemotherapie, sind bei dieser Krebsart nicht bzw. selten angeraten. Jede Operation hat ihren Preis und birgt Risiken.
Viel schwingt mit, Angst vor der Operation, vor den Schmerzen, vor den möglichen Konsequenzen und möglichen Komplikationen, die im Aufklärungsgespräch erwähnt werden. Die nicht zu beantwortende Frage: „Warum ich?“ Aber auch Hoffnung, dass die Operation hilft, das Leben zu erhalten und den Krebs zu besiegen.
Endlich ist er da, der lebensrettende Operationstermin, doch was habe ich für Möglichkeiten, wenn eine Vulvakarzinom-OP nicht optimal, sondern viel zu radikal bzw. verstümmelnd ausgefallen ist? Gibt es die Chance, etwas zu richten? Kann ich wieder weiblich aussehen und können verlorene Funktionen wiederhergestellt werden?
Niemand kann sich im vornherein vorstellen, was es heißt, Körperstellen entfernt zu bekommen. Das gilt insbesondere für Operationen, die eindeutig erkennbar an der Körperoberfläche stattfinden und das Aussehen verändern, wie Brustoperationen und andere Amputationen jeglicher Art, aber auch für Operationen, die die bisherigen Körperfunktionen beeinträchtigen. Wie sich das Leben insgesamt nach der Operation an dieser intimen und empfindsamen Stelle verändert haben wird, stellt sich erst nach der Heilung heraus. Kann ich noch all das tun, was vorher selbstverständlich war?
Bei radikalen, veralteten Vulvakarzinom-Operationen gibt es Risiken bzw. OP-Folgen, die nicht allgemein bekannt sind. Wer weiß schon, dass bei Frauen die Vulva auch ein „Sitzpolster“ ist und deshalb nach Entfernung im Alltag fehlt? U. a. schmerzt das Sitzen erheblich und Radfahren ist so gut wie unmöglich. Abhängig von Art und Umfang der Behandlung können belastende Lymphödeme auftreten, darum sollte bei der Entfernung von Lymphknoten das Tumorstadium beachtet und streng nach aktuell gültiger Leitlinie vorgegangen werden, um das Risiko eines Lymphödems zu minimieren bzw. zu vermeiden.
Mögliche weitere Operationsfolgen können zu Harn- und Stuhlinkontinenz sowie dem Verlust der Fähigkeit, Sexualität ausüben zu können, führen, wenn zu radikal bzw. verstümmelnd operiert wird. Das erhöht häufig auch das Risiko, eine Wundheilungsstörung zu bekommen, die die Heilungsphase erheblich verlängern kann. Bei mangelnder Erfahrung des Operateurs kann es leider vorkommen, dass die Klitoris unnötig entfernt wird. Das führt generell zu großen Gefühlsverlusten und belastet in den meisten Fällen stark die Psyche der betroffenen Frauen. Weitere Folgen mangelnder Erfahrung können auch sein, dass bei sehr kleinen Tumoren viel zu viel Gewebe entfernt wird und eine im Grunde unnötige plastische Rekonstruktion mehr schlecht als recht stattfindet, die meist sowohl das weibliche Erscheinungsbild als auch die Funktion stark beeinträchtigt.
Diese körperlichen und sehr oft auch seelischen Beschwerden und Schäden können i. d. R. vermieden werden, wenn Patientinnen sich vor einer OP gut über ihre Erkrankung und deren aktuelle Behandlungsmöglichkeiten informieren sowie einen spezialisierten Operateur aufsuchen.
Es kann nur immer wieder betont werden, wie wichtig eine gute Vorbereitung auf die Operation ist, um das bestmögliche Ergebnis für sich selbst zu erhalten. Und Vorbereitung heißt: Sich kundig machen, mit Ärzten, Experten, anderen Betroffenen sprechen, selbst Experte für die eigene Krankheit werden, um tatsächlich die mündige Patientin sein zu können, die bewusst und mit klaren Vorstellungen das Risiko der Behandlung einschätzen kann und es mutig auch eingeht, um die Patientin zu werden, die auch nach der Operation beurteilen kann, was genau mit ihr passiert ist, ob das beste Ergebnis erreicht wurde oder ob es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
Hier kann sowohl bei der Vorbereitung als auch nach der Operation der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe ungemein (weiter-)helfen. Neben Trost und persönlichen Erfahrungen ist hier die Quelle von ausgesprochenem Spezialwissen über die Krankheit und das oft aus vielerlei Blickwinkeln, eben von verschiedenen Menschen. Oft sind auch Erfahrungen mit Komplikationen vorhanden, vielleicht sogar Erfahrungen damit, wie solche Komplikationen gut zu umgehen oder zu „reparieren“ sind. Auch, wenn jede Erkrankung individuell ist, hilft es häufig, sich mit anderen Betroffenen, auszutauschen, um verschiedene Erfahrungen kennenzulernen und die eigene Lage beurteilen zu können.
Von Ärzten, die Prostataoperationen durchführen, heißt es, dass sie rund 1.000 Patienten operiert haben sollten, bevor sie wirklich gute Operateure auf diesem Gebiet sind. Wie schwierig ist es dann erst, bei einer seltenen Erkrankung entsprechende Erfahrung zu sammeln und Routine zu erlangen?
Jeder Patient/jede Patientin hat generell die Möglichkeit, sich eine qualifizierte Zweitmeinung (bei Bedarf auch eine Dritt- oder Viertmeinung) einzuholen und sich den Arzt auszusuchen, dem er oder sie vertrauen möchte. Niemand sollte sich scheuen, Fragen zu stellen und alles anzusprechen, was wichtig für sie bzw. ihn ist.
Ergeben sich dennoch nicht erklärbare Unterschiede, weitere Fragen oder ist man verunsichert, sollte man so lange weiter fragen, bis alles ganz klar ist. Dazu gehören auch der aktuelle Stand der Dinge zu den schonendsten Operationsmethoden und eine Idee sowie die gute Umsetzung während der Operation zum größtmöglichen Erhalt der Lebensqualität für die Zukunft.
Falls eine Patientin nicht die Möglichkeit hatte, sich ausführlich im Vorfeld zu informieren, oder das Operationsergebnis ist trotz allem nicht optimal geworden, muss sie nicht verzweifeln, für viele Frauen, die unter den erheblichen Folgen viel zu radikaler Operationen leiden, besteht die Möglichkeit, etwas zu retten und wesentlich mehr Lebensqualität zurückzuerlangen. Das bedeutet allerdings, dass sie sich einer weiteren Operation unterziehen müssen.
Wieder gilt es, sich im Vorfeld gut zu informieren, wer plastische Rekonstruktionen in Zweit-OPs beherrscht. Auch hier teilen Selbsthilfegruppen ihre Erfahrungen gern mit hilfesuchenden Menschen.
Selbst wenn die betroffene Patientin im Moment kaum daran glauben kann, die Chance auf eine Verbesserung sollte sie zumindest mit einem erfahrenen Operateur besprechen und sich trotz aller widrigen Umstände untersuchen lassen, um gemeinsam mit dem Arzt herauszufinden, welche Möglichkeiten bestehen, ein besseres Ergebnis erhalten zu können.
Nach unseren Erfahrungen konnte vielen Frauen durch diese notwendigen Rekonstruktionen ein ganz neues, positives Lebensgefühl gegeben werden – sie mussten nur bereit sein, den Weg zum Spezialisten zu suchen.
Für das Projektteam
Enzia Selka
Quelle: Leben? Leben! 3/2018