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Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.

Multiple Sklerose
© iStock - Stadtratte

„Bleibt stark – für euch“ – Ayleens Leben mit MS

Ayleen hat die Diagnose MS 2020 erhalten. Im Interview spricht sie darüber, was sich durch MS für sie verändert hat.

Unter dem Namen @ms.unaufhaltsam bloggen Sie auf Instagram. Was hat Sie bewogen, über Ihre Krankheit zu berichten?

Ich entschied mich damals, ca. zwei Monate nach der Diagnose, meine Geschichte auf Instagram zu teilen, weil mir in erster Linie die Vernetzung mit anderen Betroffenen geholfen hat, mit der Krankheit besser umgehen zu können. Mich mit anderen auszutauschen und zu connecten, die in dieser Hinsicht ein ähnliches Schicksal wie ich erlebt haben, sehe ich heute noch als einen der wichtigsten Bausteine, um mit der Diagnose zurechtzukommen. Weiterhin hilft mir das Schreiben wahnsinnig dabei, etwas zu verarbeiten und gleichzeitig kann ich damit auch Aufklärungsarbeit leisten.

Seit wann wissen Sie, dass sie an MS erkrankt sind? Wie war ihr Weg zur Diagnose und wie haben sie auf die Diagnose reagiert?

Ende September im Jahr 2020 (ich war 21 Jahre alt) kam ich von der Arbeit nach Hause und fühlte mich nicht wohl, als würde sich da eine Grippe oder gar Corona ankündigen. Ich blieb die nächsten Tage also zu Hause und ging zum Arzt, um einen Coronatest zu machen – damals meine einzige Sorge: Hoffentlich ist der nicht positiv.

Er war negativ und auch die Grippesymptome wurden nach und nach besser – aber irgendetwas stimmte nicht mit mir. Ich hatte Taubheitsgefühle im Bauch und in meinen Beinen, konnte nicht mal mehr einen Unterschied zwischen warmem und kaltem Wasser spüren. Freitagabends plagte mich die Angst darüber, dass ich meinen Körper ab der Schulter abwärts nicht mehr so richtig spüren konnte, und ich rief meine Mama an. Sie hatte Nachtschicht und übergab das Handy an ihre Kollegin, welche als Krankenschwester tätig war und mir riet, sofort ins Krankenhaus zu gehen und das abklären zu lassen. Meine Mitbewohnerin brachte mich dann in die Notaufnahme, wo ich auch direkt ernst genommen wurde.

Zu dem Zeitpunkt habe ich noch gehofft, dass es sich um einen eingeklemmten Nerv handelt und ich wieder entlassen werde. Dem war allerdings nicht so. Es folgten Erstuntersuchungen bis in die frühen Morgenstunden, um einen Schlaganfall auszuschließen. Ich sollte über das Wochenende bleiben, damit mein Zustand beobachtet werden kann und weitere Untersuchungen durchgeführt werden können. Nervenmessung, Magnetresonanztomografie (MRT) von Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule und Kopf, Bluttests und Lumbalpunktion erfolgten an den kommenden Tagen und ich weiß bis heute, dass die Neurologin von Anfang an die Krankheit „Multiple Sklerose“ in den Raum warf.

Nach jeder Untersuchung fragte ich, ob diese Krankheit nun ausgeschlossen werden kann, bis letztendlich die Ergebnisse der Liquoruntersuchung nicht nur Klarheit, sondern auch ein komplettes Ärzteteam in mein Zimmer brachten. „Es tut uns leid Frau G., der Verdacht hat sich bestätigt – sie haben Multiple Sklerose.“

Diese Worte wiederholten sich immer und immer wieder in meinem Kopf, sodass ich in den ersten Momenten alles ausblendete und zu weinen begann. Was ich bis heute an den Ärzt*innen schätze, ist, dass sie mir einfach Zeit gegeben haben. Ohne mich mit Informationen zu überfluten oder mit mir zu sprechen, gaben sie mir Zeit, bis ich bereit war. „Und wann sitze ich im Rollstuhl?“, war die erste Frage, die ich herausbringen konnte.

Wie macht sich MS in Ihrem Leben bemerkbar?

Ich muss sagen, dass es mir im Großen und Ganzen gut geht und ich zum Glück keine größeren Einschränkungen habe – natürlich hoffe ich, dass es weiterhin so bleibt.

Während und nach meinem ersten (und letzten) Schub, der 2020 zur Diagnose führte, ging es mir überhaupt nicht gut. Ich konnte mit meiner linken Hand so gut wie gar nichts mehr und musste auch das Schreiben neu lernen. Lange Strecken laufen, war vor allem durch mein linkes Bein ebenfalls schwierig, es war auch einfach das Gefühl, nichts mehr spüren zu können, das mich zum Verzweifeln brachte.

Aber ich hatte Glück, denn nach der zweiten Kortisonstoßtherapie schienen die Symptome zurückzugehen, was auch das Kontroll-MRT ein halbes Jahr später bestätigte – die Entzündungen waren nicht mehr aktiv und es kamen glücklicherweise auch keine mehr hinzu. Seit der Diagnose bestand wegen Gleichgewichtsstörungen einmal der Verdacht auf einen erneuten Schub – dieser konnte zum Glück nicht bestätigt werden.

Auch wenn ich keine größeren Einschränkungen habe, merke ich dennoch, dass etwas „anders“ ist im Vergleich zu früher. Stressige Phasen bereiten mir häufig Nervenschmerzen und/oder Taubheitsgefühle, vor allem in der linken Körperhälfte. Auch von Fatigue und Konzentrationsschwierigkeiten bin ich gelegentlich betroffen, zum Glück allerdings in keinem hohen Maße, sodass ich mein duales Studium ohne größere Probleme fortführen kann.

Was hilft Ihnen am meisten bei der Bewältigung Ihrer Krankheit?

Meine Therapie erfolgt alle vier bis sechs Wochen als Infusion oder durch Spritzen. Es ist ein relativ neues, aber auch starkes Medikament, welches mir damals im Krankenhaus empfohlen wurde, da die Ärzt*innen, ich zitiere: „gleich mit voller Kraft entgegenwirken“ wollten. Nach dem Test auf ein risikoverbundenes Virus, auf das ich negativ getestet wurde, konnte es mit dieser Therapie losgehen. Ich fahre damit seit fast zwei Jahren sehr gut und bin zufrieden. Das ist allerdings bei jedem anders und sollte immer mit dem Neurologen/der Neurologin abgeklärt werden.

Sport oder Bewegung und ein möglichst gesunder Lebensstil helfen mir über die medikamentöse Therapie hinaus. Auch Rehabilitationssport kann verschrieben werden.

Ansonsten hilft mir bei der Bewältigung der Krankheit, wie oben beschrieben, die Vernetzung mit anderen Betroffenen. Das Gefühl nicht allein zu sein, das gegenseitige Unterstützen und füreinander Dasein und der Austausch von Erfahrungen sind für mich etwas Unverzichtbares geworden.

Wie gehen Sie mit Ihrer Krankheit allgemein um?

Ich versuche, das Beste draus zu machen, denn ich denke mir: Ändern kann ich es nicht, also muss ich irgendwie meinen Weg damit finden. Natürlich gibt es auch Tage/Wochen, da denke ich mir einfach nur: Warum ich? Warum gerade ich? Da bin ich dann frustriert, sauer und wütend.

Also: Das Beste daraus zu machen, bedeutet nicht immer, dass jeden Tag alles super sein muss, sondern auch, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen und diese nicht verdrängen zu wollen.

Nach der Diagnose hatte ich beispielsweise mit Panikattacken und einer generalisierten Angststörung zu kämpfen und musste mir irgendwann eingestehen, dass mein Weg so nicht weitergehen kann, weil ich mich nur im Kreis drehe und da von allein nicht mehr rauskomme.

Hier war ganz wichtig: Alles braucht seine Zeit und das kann auch verdammt viel Zeit sein. Ich sage mir immer: Trust the process (vertraue dem Prozess), weil ich den Umgang mit der Krankheit als einen stetigen Prozess verstehe und nicht als etwas, das einfach von heute auf morgen entsteht. Es gibt keinen richtigen Umgang schlichtweg, sondern nur das, was sich für einen selbst richtig anfühlt – das gilt es zu tun.

Wie reagiert Ihr Umfeld?

Bisher habe ich überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Mir fällt allerdings immer wieder auf, dass über die Krankheit kaum Wissen besteht und es viele Vorurteile gibt. Ich wollte meinem Umfeld von vornherein das Gefühl geben, offen mit mir sprechen zu können, und ich fand es auch schön, wenn Leute dann wirklich Interesse daran gezeigt haben, etwas über diese Krankheit zu erfahren.

Da ich sehr offen damit umgehe, wissen die meisten aus meinem Umfeld es und zeigen wirklich auch viel Verständnis – das hilft einem als Betroffene unglaublich viel, wenn man sich da nicht rechtfertigen oder erklären muss. Das Beste, was man daher tun kann, ist es wirklich, uns einfach zu glauben, was wir sagen. Oft genug haben wir mit unsichtbaren Symptomen zu kämpfen und nur, weil man nach außen hin nichts sieht, bedeutet es nicht immer, dass alles gut ist.

Natürlich gab es auch irgendwo nicht so tolle Reaktionen – zum Teil leider auch aus dem näheren Umfeld oder sogar von anderen Betroffenen. Das finde ich ziemlich schade, aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen, denn es wird immer Menschen geben, die einen kritisieren.

Wollen Sie anderen an MS Erkrankten noch etwas mitgeben?

Bleibt stark – für euch. Auch wenn es genug Tage gibt, an denen einem die Kraft dafür auszugehen scheint, es lohnt sich. Nehmt euch an schlechten Tagen die Zeit, die ihr für euch braucht, und genießt die guten Tage. Ein Satz meiner Neurologin hat sich seither bei mir eingebrannt: Versuchen Sie Ihr Leben möglichst so weiterzuführen wie bisher. Tun Sie die Dinge, die Sie glücklich machen. Sie sind kein anderer Mensch durch die Diagnose.

Zitat von @ms.unaufhaltsam:

„[…] Aber ich bin immer noch Mensch. Ich bin immer noch Ayleen. Vielleicht nicht mehr die, die ich vor dir war. Und dass das nie wieder so wird, ist mir schon klar. Aber vielleicht bin ich jetzt halt die, die ich mit dir bin. Mein Leben hat nämlich trotzdem einen Sinn. Mein Leben ist trotzdem voll mit Lebendigsein, weil du kriegst mich nicht klein. Ich bin die, die ich sein kann. Und die, die von Anfang an gesagt hat, dass du mich nun begleiten wirst. Aber nie – niemals bist du das, was mich scheitern lässt. Bitte leb einfach mit mir, denn du bist gekommen – und ich war schon immer da. Du bist Teil von mir, doch ich bin das Ganze. Ich bin Ayleen und du bist Multiple Sklerose. Wir zwei passen nicht. In meinem Leben da ist trotzdem ganz viel Licht. Und ändern, liebe MS, wirst du das nicht.“

Quelle: Befund MS 3/2022

03.02.2023
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