Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Im September 2006 hatte ich meinen ersten MS-Schub. Es fing an mit einem heftigen Drehschwindel, ich musste mich übergeben und jeden Tag kam etwas Neues hinzu. So konnte ich plötzlich auf einem Auge fast nichts mehr sehen, auch die Haut kribbelte. Ich bin dann von einem Arzt zum nächsten, landete schließlich beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt, weil der Verdacht bestand, dass mit meinem Gleichgewichtsorgan etwas nicht stimmt. Der hat jedoch gleich gesagt, dass ich bei ihm falsch sei, und mich zum Neurologen geschickt. Das war, wie ich damals noch nicht wusste, eine MS-Schwerpunktpraxis. Morgens wurde ich untersucht und es ergab sich ein gewisser Verdacht auf MS, weshalb ich weiter ins Krankenhaus überwiesen wurde.
Das Krankenhaus bestätigte die Diagnose. Der Arzt, der mir mitteilte, dass ich MS habe, war jedoch nicht sehr geschickt. Er fragte mich, ob ich die Krankheit MS kenne. Vor meinem inneren Auge tauchten sofort Bilder von einer Bekannten meiner Mutter auf, die Seidenmalkurse an der VHS gab und im Rollstuhl saß, und ich fragte mich natürlich, ob es mir bald genauso gehen würde. Ich hatte 2004 geheiratet, 2005 kam mein erstes Kind zur Welt, wir hatten ein Haus gekauft und ich war gerade dabei, einen Lehrgang zum Steuerberater zu absolvieren. Es war also der unpassendste Moment für die Diagnose.
Im Februar 2007 hatte ich den zweiten MS-Schub, der zunächst starke Konzentrationsprobleme nach sich zog. Es war fast so, als hätte ich „Matsche im Kopf“. Dass es mir da auch seelisch nicht gut ging, kann man sich sicher vorstellen. Ich habe dann nach Absprache mit dem Neurologen mit der Basistherapie mit Interferon begonnen, die ich jedoch vor vier Jahren abgebrochen habe.
Nicht ich, sondern mein Körper hat sich gegen die Basistherapie entschieden. Vor vier Jahren bekam ich eine Mandelentzündung. Ich konnte nicht mehr schlucken, habe Schmerzmittel genommen, weil ich nichts mehr zu mir nehmen konnte. Ich hatte Fieber und Schüttelfrost, einen Blutdruck von 220/150 und ein ständiges Rauschen im Ohr. Ich habe daraufhin das Interferon eigenständig abgesetzt, zumal ich sehr häufig mit Infektionen zu kämpfen hatte. Eine Woche später war mein Blutdruck stark gesunken und eher zu niedrig. Es ging mir insgesamt besser. Ich habe dann mit meinem Neurologen gesprochen, der vorschlug, dass wir es ohne Basistherapie weiter probieren und sehen, was passiert.
Da ich schon immer sehr interessiert war, was es in der MS-Forschung Neues gibt, war ich kurz vorher auf Studien gestoßen, die davon sprachen, dass die Darmflora bei MS nicht intakt sei. In diesen Studien wurde mit Erfolg versucht, die Darmflora mit Propionsäure zu stabilisieren bzw. zu beeinflussen. Diese kurzkettigen Fettsäuren unterdrücken vermutlich Entzündungsprozesse. Ich habe daraufhin angefangen, Propionsäure einzunehmen, und meine Ernährung umgestellt. Ich versuche mich, so gut es geht, antientzündlich zu ernähren. Seit ich Propionsäure einnehme, bin ich nicht mehr ernsthaft erkältet gewesen, vorher war ich ständig erkältet. Ich bin daher der Überzeugung, dass sich das Immunsystem vom Darm her beeinflussen lässt.
Auch ein DNA-Test, den ich im Rahmen meiner Trainingssteuerung habe machen lassen, hat Dinge hervorgebracht, die spannend sind. So hat sich gezeigt, dass es in meinen Genen steckt, dass meine Darmflora gestört ist. Und auch, dass mein Körper Vitamin D nicht selbst herstellen kann. Ein Mangel an Vitamin D wird immer wieder in Studien in Verbindung mit der Entstehung von MS gebracht. Ich nehme daher auch Vitamin D als Nahrungsergänzung ein. Seit Februar 2007 bin ich übrigens schubfrei.
Ein Arbeitskollege und zugleich mein bester Freund hat mich vor Jahren darauf gebracht. Er meinte: „Komm mal mit ins Fitnessstudio, das macht den Kopf frei.“ Dort habe ich das erste Mal Spinning gemacht, das war zwar ausgesprochen anstrengend, doch es war tatsächlich so, dass mein Kopf hinterher freier war. Vor zehn Jahren habe ich mir dann vom Weihnachtsgeld mein erstes Fahrrad gekauft, mit dem alles anfing. Das war ein Mountainbike, später bin ich aufs Rennrad umgestiegen. Mit dem Joggen habe ich danach auch begonnen.
Schließlich sagte mir ein Freund, dass es am Möhnesee einen Triathlon über die Kurzdistanz gebe – sprich: 500 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren und fünf Kilometer Laufen. Das habe ich ausprobiert. Und dann ist das alles etwas eskaliert. Aber auch das liegt vielleicht in den Genen, denn mein Vater hat immer Ausdauersport gemacht.
Jedenfalls gab es 2014 die Challenge Roth. Ein Freund hatte uns für die Verlosung von Startplätzen angemeldet. Er meinte zu mir: „Daniel, im Sommer läufst du Marathon.“ Okay, dann fange ich mal an zu trainieren, habe ich mir gesagt. Der Tag, als ich am Marathon teilgenommen habe, war ein Schlüsselmoment. Bei der Challenge gibt es auch einen Langdistanztriathlon und ich habe für mich damals entschieden: Eines Tages musst du alles machen. Und wenn ich mir so etwas vornehme, handele ich nach der Devise: Nenne es keinen Traum, sondern einen Plan.
Ich habe danach an Triathlons über die olympische Distanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren, 10 km Laufen) teilgenommen, doch das war mir nicht genug. Als Ende 2016 bekannt gegeben wurde, dass es 2017 in Hamburg einen Ironman-Triathlon (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren, 42,195 km Laufen) geben würde, habe ich mich – wieder mit dem oben genannten Freund – angemeldet. Und natürlich begonnen, auf die Veranstaltung hin zu trainieren.
Beim Aufstellen meines Trainingsplans bin ich jedoch schnell an meine Grenzen gekommen und habe mir einen Personal Trainer gesucht, der das für mich übernommen hat und mithilfe von Leistungstests überwacht, dass ich mich durchs Training nicht erschöpfe. Er hat die Belastung immer im Auge. Das bedeutet z. B., dass ich 14 Tage lang täglich trainiere und im Anschluss drei bis vier Tage Pause mache. Trainieren heißt übrigens nicht, ständig an die eigenen Grenzen zu gehen, sondern z. B. an drei Tagen jeweils 30 Minuten locker laufen und an einem anderen Tag dann 30 Minuten Krafttraining zu machen. Samstags und sonntags trainiere ich jedoch mehr. Da fahre ich dann schon mal fünf Stunden lang Rad, aber locker.
Schließlich bin ich zu meinem ersten Ironman nach Hamburg gefahren. Es war Hochsommer und „typisches“ Hamburger Wetter mit 18 Grad und leichtem Nieselregen. Nach 13 Stunden und 29 Minuten bin ich durchs Ziel gelaufen. Im unteren Drittel aller Teilnehmer, aber glücklich. Die Profis sagen ohnehin, dass die wahren Champions beim Ironman diejenigen sind, die länger unterwegs sind. Denn sie müssen sich viel mehr Energie zuführen.
Ich bin übrigens nicht der typische Triathlet, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Dafür bin ich zu schwer. Doch beim Triathlon und beim Ironman ist nicht in erster Linie die körperliche, sondern die mentale Fitness ausschlaggebend. Man sagt, dass es zu 70 Prozent Kopfsache ist, ins Ziel zu kommen. Die körperliche Fitness macht nur etwa 30 Prozent aus.
2018 habe ich dann meinen Plan von 2014 realisiert und habe die Challenge in Roth alleine gefinisht. Bis jetzt habe ich an vier Langdistanz-Triathlons teilgenommen.
Beim Ironman in Frankfurt 2019 herrschten 40 Grad. Weniger als die Hälfte aller Starter sind überhaupt ins Ziel gekommen. Neun Minuten vor Zielschluss habe ich dann nach 14 Stunden und 51 Minuten das Ziel erreicht und habe vom Profi-Triathleten Franz Löschke meine Medaille überreicht bekommen. Da habe ich hinterher gesagt, das mache ich nie wieder. Doch drei Tage später habe ich einen Einzelstartplatz für die Challenge Roth gewonnen und konnte nicht Nein sagen.
Insgesamt bin ich leistungsfähiger und fitter und komme schneller wieder auf die Beine, wenn mal was ist. Die Aufschrift eines meiner T-Shirts drückt es vielleicht ganz gut aus: „Triathlon ist meine Therapie“. Mein Motto ist ohnehin: Ich lebe jetzt und versuche, all das mitzunehmen, was ich kann, und möglichst nichts aufzuschieben. Seit meinem ersten Ironman bin ich daher auf einer Mission: Gebt niemals auf, auch wenn ihr an MS erkrankt seid. Schiebt nichts auf.
Um anderen Mut zu machen, habe ich meine Facebook-Seite „Ironman trotz MS“ sowie das Instagram-Profil @ironmantrotzms eingerichtet. Denn ich weiß, wie es ist, wenn es einem nicht gut geht. Auch ich habe lange gebraucht, positives Denken zu trainieren. Wenn man jedoch einmal etwas geschafft hat, was man sich vorgenommen hat, wird auch die Angst vor dem Versagen kleiner. An den Triathlons nehmen übrigens fast immer Menschen mit MS teil. Ich bin also längst keine Ausnahme.
Quelle: Befund MS 1/2022