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Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.

Multiple Sklerose
© iStock - Stadtratte

„Mein Wille ist meine Grenze“
Sportliche Herausforderungen mit MS meistern

Regina Rikowski erhielt ihre MS-Diagnose 2014, vermutet wird jedoch, dass die Erkrankung bereits 2006/2007 bestand. Zur Diagnose führten Sehstörungen und eine andauernde Fatigue. Leider hat in ihrer Jugendzeit kein Arzt und keine Ärztin wirklich geglaubt, dass sich das Sehen von Regina Rikowski intermittierend verschlechterte – und wenn doch, wurde dies auf die Einnahme eines Herzmedikaments zurückgeführt, das als Nebenwirkung verschwommenes Sehen nach sich ziehen konnte.

Schließlich stellte der Augenarzt fest, dass Regina Rikowski nur noch Nebel sah und eine Rotentsättigung vorlag. Ihr Hausarzt überwies sie zunächst in die Kardiologie einer Klinik, wo die behandelnde Kardiologin eine Vorstellung in der Neurologie vorschlug. Dort wurde die Diagnose MS gestellt.

2014 hatte Regina Rikowski mehrere MS-Schübe. Beim zweiten Schub kam es zu einer Spastik in Bein und Fuß. Wie Regina Rikowski sagt, „verfolge“ sie ihr Fuß bis heute: „Er macht das, wozu er Lust hat – ganz egal, ob es sich um intermittierende Spastiken oder eine Peroneuslähmung handelt.“

Auch hat sie nach wie vor Gesichtsfeldeinschränkungen, ist von Fatigue betroffen und das Gleichgewicht ist manchmal ebenfalls eingeschränkt, wobei Regina Rikowski nicht weiß, ob dafür tatsächlich der Gleichgewichtssinn oder ihre Augen verantwortlich sind.

Dennoch hat sie 2019 an ihrem ersten Megamarsch teilgenommen – einer Veranstaltung, die in zahlreichen Städten durchgeführt wird, bei der die Teilnehmer*innen bis zu 100 Kilometer in 24 Stunden gehend zurücklegen.

Frau Rikowski, wie kamen Sie auf die Idee, am Megamarsch teilzunehmen?

Ich mache im Netzwerk Autoimmunerkrankter ehrenamtliche Aufklärungsarbeit. Bei der Zusammentragung von Veranstaltungen 2019 nannte meine Kollegin auch den Megamarsch. Ich sagte sofort: Morgen melde ich mich an. Ich wollte wissen, wie weit macht meine Psyche mit, wie weit komme ich, selbst wenn mein Körper nicht mehr kann.

Viele haben mich ausgelacht und gesagt, warum ich für die Teilnahme an einer Sportveranstaltung bezahle, bei der ich maximal zehn bis 15 Kilometer schaffe. Ich trug damals noch eine Peroneusschiene und nahm Fampridin zur Verbesserung der Gehfähigkeit. Das hat mich jedoch so richtig angespornt. So bin ich. Immer wenn mir jemand sagt, du schaffst das sowieso nicht, weckt das meinen Ehrgeiz, es mir selbst und auch den anderen zu beweisen.

2017 etwa ging es mir richtig schlecht, 2018 kam ich in die Reha, auch weil ich die ganze Zeit versucht habe, mit der linken Hand das Gleichgewicht zu halten. Tat ich das nicht, bin ich nach links gekippt wie ein Dominostein. Dort meinte der Chefarzt: „Das können Sie nicht wegtrainieren.“ Daraufhin bin ich wütend geworden und habe gesagt: „Doch, ich schaffe das, ich will das schaffen.“ Es ist mir auch gelungen.

Das Gleiche galt für meinen ersten Megamarsch in Hamburg. Ich hatte mir vorgenommen, die erste Urkunde zu schaffen. Und das habe ich hinbekommen, trotz Schiene. Ich bin 40 Kilometer zusammen mit meinem Nachbarn gelaufen, habe im Verhältnis zwar recht lange für die Strecke benötigt, aber auch weil ein Fernsehteam dabei war und Drehpausen gemacht wurden.

2019 bin ich dann noch beim Megamarsch in Berlin gestartet – diesmal ohne Schiene und ohne Fampridin. Da habe ich 63 km geschafft. Das war schon ziemlich hart auf den letzten Kilometern. Bei Kilometer 55 hatte ich nämlich einen Motivationseinbruch, als ich erfahren habe, dass ich 3 km weiter gehen muss als geplant, um die Urkunde für 60 km zu erhalten – die Urkundenstation lag nämlich bei Kilometer 63. Ich habe es aber geschafft, mich zu motivieren, und dann doch noch mein Ziel erreicht.

2020 kam dann Corona. Da fiel der Megamarsch als Veranstaltung aus, allerdings konnten wir coronakonform allein laufen. Mein Vater, ein begeisterter Wanderer, hat mir dann eine Tour „gebaut“. Ich wollte 50 km in unter zwölf Stunden schaffen. Das war nicht einfach, denn bei Kilometer 18 fing es an zu regnen. Da war die Motivation nicht mehr so richtig da. Aber ich habe die Strecke geschafft – in 11 Stunden und 15 Minuten.

Ich war froh, dass ich am Anfang recht schnell unterwegs war, denn am Ende wurde es wegen des anhaltenden Regens doch recht rutschig. Mein Vater hat mir zwischendurch immer etwas zu trinken gebracht und ich habe ihm regelmäßig meinen Live-Standort übermittelt, damit er mich hätte abholen können, falls ich zu erledigt gewesen wäre. Mein Vater verfolgt meine Läufe ohnehin wie einen Tatort-Krimi.

Dieses Jahr bin ich wieder beim Megamarsch mitgelaufen – ich habe die 50 km in unter 12 Stunden geschafft und habe meine Zeit auch um 45 Minuten verbessert. Das war dann aber genug, weil ich mich auch an die Corona-Ausgangssperren halten wollte, die in Hamburg galten. Natürlich sind alle Teilnehmer*innen coronakonform gelaufen. Wir hatten ein Team aus Menschen mit MS – vier bis fünf Leute, die gemeinsam starten wollten – und haben stattdessen eine WhatsApp-Gruppe gebildet. Ganz im Sinne des DMSG-Mottos „Stay Connected“ haben wir uns unterwegs immer geschrieben und uns gegenseitig unsere Standorte mitgeteilt.

Fällt es Ihnen jetzt leichter, solche Strecken zurückzulegen? Und hat die Bewegung Auswirkungen auf MS?

Ja, ich kann eindeutig besser und länger laufen. Das macht natürlich das Training. Die Bewegung wirkt sich auch positiv auf die Fatigue aus. Und ich mache jetzt gezieltes Rückentraining und stärke meine Muskulatur, denn der Rücken tat mir bei meinem ersten Megamarsch mehr weh als alles andere. Ich war es nicht gewöhnt, so lange einen Rucksack zu tragen.

Wollen Sie auch anderen durch Ihr Vorbild Mut machen?

Ja, schon. Ich will zeigen, dass man auch mit MS Dinge ausprobieren und Ziele erreichen kann. Allerdings sind diese Ziele bei allen unterschiedlich. Ich sage anderen mit deutlich stärkeren Einschränkungen deshalb auch immer, dass sie für sich selbst gucken müssen, welche Ziele sie sich setzen.

Das Verrückte ist übrigens: Ich bin der MS in einer Hinsicht dankbar, weil ich so etwas wie den Megamarsch sonst nie gemacht hätte. Ich hätte jedem einen Vogel gezeigt, der mir gesagt hätte: Mach das. Die MS hat mir gezeigt, wie man bewusster lebt. Ich freue mich über jeden Tag, an dem ich etwas sehen oder laufen kann. Das alles hätte ich früher nicht beachtet.

Ich weiß jetzt die kleineren Dinge zu schätzen, z. B. wenn ich wieder etwas kann, was ich einige Zeit nicht konnte. Ich versuche deshalb auch mit meinem Instagram-Account (zu finden unter rikowski) ein Zeichen dafür zu setzen, dass sich alles drehen kann, denn mir ging es mal sehr schlecht. Natürlich gibt es mit der MS nie eine Garantie: Was heute möglich war, kann morgen schon anders sein.

Und ich freue mich schon auf ein neues Erlebnis, das wieder aus einer Schnapsidee erwachsen ist: Ich möchte am Stoneman-Dolomiti-Hike, einem Trekking-Abenteuer teilnehmen, bei dem man 56 km über einen Höhenunterschied von über 3.000 Metern zurücklegt. Darüber ist auch mein Vater als passionierter Wanderer begeistert und will mitmachen. Noch geht das coronabedingt nicht, aber wir informieren uns und starten, wenn es möglich ist. Ganz nach meinem Lebensmotto: Mein Wille ist meine Grenze.

Quelle: Befund MS 2/2021

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