Bei der Behandlung rheumatischer Leiden mittels Misteltherapie wird die immunstimulierende Wirkung der injizierten Mistelextrakte ausgenutzt. Die Misteltherapie wird auch zur unterstützenden Therapie von Krebserkrankungen eingesetzt.
Die Mistel hat als Heilpflanze eine lange Geschichte. Schon keltische Druiden verwendeten die Mistel, die auch andere Namen wie Donnerbesen, Hexenbesen oder Hexenkraut trägt. Sie galt als mystisches Gewächs mit magischen Kräften. Gegen Leberleiden sowie zu hohem Blutdruck wurde die Mistel im Mittelalter eingesetzt.
Der Anthroposoph und Begründer der Waldorfschulen Rudolf Steiner (1861-1925) behandelte an Krebs erkrankte Patienten mit Extrakten der Mistel und gilt daher als Begründer der Misteltherapie. Er sprach dieser Pflanze die Fähigkeit zu, das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele wieder herzustellen.
Die Mistel ist eine ungewöhnliche Pflanze, weil sie sich in einigen Gesichtspunkten von den meisten Pflanzen unterscheidet. Sie ist ein Epiphyt, d.h., die Mistel wächst auf anderen Pflanzen. Misteln sind Halbschmarotzer, sie hat zwar grüne Blätter, so dass sie Fotosythese betreibt, entzieht aber ihrer Wirtspflanze Wasser und Mineralstoffe, die sie selbst nicht aus dem Boden – wie andere Pflanzen – entnehmen kann. Sie besitzt keine Wurzeln, mit sog. Senkern bohrt sich die Mistel in die Leitbahnen ihrer Wirtspflanzen.
Bevorzugte Wirtspflanzen sind u. a. Linden und Pappeln. Im Winter sind Mistelsträucher schon von weitem an ihrer runden Form an den blattlosen Bäumen zu erkennen. Die Mistel benötigt hohe Luftfeuchtigkeit, deshalb findet man sie bevorzugt auf Bäumen in Flusstälern und Auen.
Der Name „Mistel“ stammt von dem althochdeutschen Wort „mistil“, das so viel wie „Mist“ bedeutet, weil der Samen dieser Pflanze durch Vogelmist verbreitet wird und auf diese Weise auf die Wirtspflanzen gelangt.
Als medizinisch bedeutsam gelten bestimmte Glykoproteine (Lektine) und Viscotoxine, die eine zytotoxische d. h. zellzerstörende Wirkung haben. Neben dem Effekt der Zellzerstörung wird der Mistel ein positiver Einfluss auf das Immunsystem des Menschen zugesprochen.
Untersuchungen im Labor zeigten, dass Extrakte der Mistel in Tumorzellen den gesteuerten Zelltod (Apoptose) bewirken können. Da sich Tumorzellen häufiger teilen als gesunde Zellen, sind diese besonders angreifbar für die Wirkung der Misteltherapie. Ein weiteres Ergebnis medizinischer Laboruntersuchungen ist, dass der Mistelextrakt im Reagenzglas u. a. Botenstoffe wie Interleukin 1 und Interleukin 6 freisetzt. Diese Zytokine werden im Verlauf einer Immunreaktion im menschlichen Körper freigesetzt.
In Tierversuchen wurde sowohl die zellabtötende und immunaktivierende Reaktion als auch eine Wirkung von Mistelextrakten gegen Tumoren, Metastasen und Infektionen nachgewiesen.
Bei der Behandlung rheumatischer Leiden mittels Misteltherapie wird die immunstimulierende Wirkung der injizierten Mistelextrakte ausgenutzt. Da die Viscotoxine der Mistel giftig sind, kommt es zu einer Entzündung in dem örtlich begrenzten Bereich der Injektion. Dadurch wird ein anti-entzündlicher Prozess aktiviert, der sich auch gegen jene Entzündungsprozesse der rheumatischen Krankheiten richtet.
Die Misteltherapie wird auch zur unterstützenden Therapie von Krebserkrankungen eingesetzt. In der Regel wird die Misteltherapie in einer geringen Dosierungsform eingeleitet, die dann nach und nach gesteigert wird. Das Extrakt wird in der Regel unter die Haut gespritzt. Die Häufigkeit der Injektionen, deren Konzentration und die Dauer der Misteltherapie wird vom jeweiligen behandelnden Arzt festgelegt.
Die erhältlichen Präparate zur Misteltherapie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. So wachsen die Misteln auf verschiedenen Baumarten, somit können auch die Inhaltsstoffe variieren. Der Erntezeitpunkt hat ebenso eine Auswirkung auf die Konzentration der Wirkstoffe.
Die Misteltherapie hat eine immunsteigernde Wirkung bei Krebserkrankungen. Von Tumorpatienten wird berichtet, dass eine begleitende Misteltherapie das Allgemeinbefinden steigert, weil sich z. B. Schlaf und Appetit verbessern und Schmerzen, die durch den Tumor bedingt sind, als erträglicher empfunden werden. Die Leistungsfähigkeit der Patienten soll durch die Misteltherapie erhöht werden können, die Standardtherapie soll besser wirksam sein.
Zudem wird von Krebskranken, die oftmals frieren, die Misteltherapie als angenehm den Körper durchwärmend empfunden, weil sich deren Körpertemperatur wieder normalisiert.
In Deutschland, Österreich und der Schweiz wird die Misteltherapie häufig bei der Therapie von Krebserkrankungen zusätzlich zur Standardtherapie eingesetzt. Bislang konnte nicht eindeutig bewiesen werden, dass mittels Misteltherapie das Wachstum des Tumors gehemmt wird.
Zurzeit wird die Misteltherapie bei Krebserkrankungen mit stardardisierten Extrakten der anthroposophischen Therapierichtung oder mit phytotherapeutischen Extrakten durchgeführt. Bei der Anwendung der Misteltherapie müssen neben der Indikation Tumorart und -stadium beachtet werden.
Die Injektionsstellen können sich erröten und verhärten. Bei der Misteltherapie zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen können zu hohe Konzentrationen die im Mistelextrakt enthaltenen Visotoxine zum Absterben von Gewebe in der Nähe der Injektion führen. Ebenso können Fieber mit Schüttelfrost sowie Kreislaufprobleme nach einer Injektion auftreten. Auch allergische Reaktionen können bei der Misteltherapie nicht ausgeschlossen werden.
Karin Janowitz