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Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.

Multiple Sklerose
© iStock - Stadtratte

Neuroprotektive Therapieansätze zur Behandlung der Multiplen Sklerose

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS), die überwiegend junge Erwachsene betrifft und in einem Teil der Fälle zu schweren Behinderungen führt. Charakteristisch für die Erkrankung ist das Auftreten entzündlicher Herde im gesamten ZNS. In den Herden kommt es zu einer Schädigung der Markscheiden, die die Nervenzellfortsätze (Axone) umhüllen, aber auch der Nervenzellfortsätze und Nervenzellkörper (Neurone) selbst. Gerade diese Schädigung der Nervenzellkörper und -fortsätze scheint wesentlich für die bleibende Behinderung verantwortlich zu sein. Die Entschlüsselung der Mechanismen dieser Schädigung ist daher entscheidend, um mögliche Angriffspunkte für neue medikamentöse Therapien zu finden. Da deren Ziel der Schutz von Nervenzellen und Axonen ist, werden solche Ansätze als „neuroprotektive“ Therapien bezeichnet.

Bei der Behandlung der MS wird zwischen der Therapie des akuten Schubs und einerLangzeittherapie unterschieden. Die Standardbehandlung eines akuten Schubs besteht in der hoch dosierten Gabe eines Kortison-Präparats über drei bis fünf Tage mit dem Ziel, die für die neu aufgetretenen Funktionsausfälle verantwortliche Entzündungsreaktion zu dämpfen.Eine solche Kortison-Stoßtherapie kann zwar die Dauer eines Schubs verkürzen, hat aber langfristig gesehen keine Auswirkung auf das Auftreten von bleibenden Behinderungen. Spezielle Untersuchungen konnten belegen, dass eine Kortison-Stoßtherapie die während eines Schubs vermehrt auftretende akute Schädigung von Nervenzellen nicht aufhalten kann und somit vermutlich keine neuro-protektive Wirkung besitzt.

IMMUNMODULATOREN

Zur Langzeitbehandlung werden immunmodulatorische Medikamente wie Beta-Interferone und Glatiramer-azetat eingesetzt. Diese Substanzen verändern die Aktivität des Immunsystems und können sowohl die Schubrate reduzieren als auch das chronisch progre-diente Fortschreiten der Erkrankung verringern.Durch eine Hemmung der autoimmunen Entzündungsreaktion kann durch diese Behandlung auch sekundär der Untergang von Neuronen und Axonen in gewissem Umfang verhindert werden. Allerdings profitiert nicht jeder Patient von einer immunmodulatorischen
Behandlung, insbesondere in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien sind die Therapieerfolge oft nicht zufriedenstellend. Intravenöse Immunglobuline sind derzeit kein Mittel der ersten Wahl in der MS-Therapie.Sie stellen allerdings die einzige Option zur Behandlung während einer bestehenden Schwangerschaft dar. Auch hierbei handelt es sich um eine anti-entzündliche Behandlung, die mit großer Wahrscheinlichkeit keine direkte neuroprotektive Wirkung hat.

ANTIKÖRPER

Eine neue Therapieoption zur Behandlung einer hochaktiven schubförmigen MS oder von MS-Patienten, bei denen eine Behandlung mit Beta-Interferon oder Glatiramerazetat erfolglos blieb,ist das im Sommer 2006 zugelassene Natalizumab. Es handelt sich bei diesem Präparat um einen an den menschlichen Organismus angepassten Antikörper. Dieser Antikörper blockiert einen Eiweißstoff,der von Zellen des Immunsystems für den Übertritt aus der Blutbahn in Gehirn oder Rückenmark benötigt wird. In den Zulassungsstudien zeigte diese Substanz eine deutliche Reduktion der Schubhäufigkeit sowie der Anzahl neu entstandener entzündlicher ZNS-Läsionen. Aufgrund der derzeit noch begrenzten Erfahrungen mit dieser neuen Therapieoption wird empfohlen,die Indikationsstellung und Überwachung der Therapie vorerst spezialisierten MS-Zentren zu überlassen. Ob dieses Medikament eine neuroprotektive Wirkung besitzt, ist bislang unklar. Eine über die Entzündungshemmung vermittelte, indirekte neuroprotektive Wirkung (ähnlich wie die der Beta-Interferone oder des Glatiramerazetats) ist zumindest wahrscheinlich.

IMMUNSUPPRESSIVA

Ist eine MS auf anderem Wege nicht zu stabilisieren, so wird,insbesondere zur Erhaltung der Gehfähigkeit,eine das Immunsystem hemmende (immunsuppressive) Behandlung mit Mitoxantron durchgeführt. Aufgrund der Nebenwirkungen, die bei einer Behandlung mit Mitoxantron auftreten können und der begrenzten Anwendungsdauer (etwa zwei Jahre), muss der richtige Zeitpunkt für den Beginn dieser Therapie bei jedem Patienten individuell festgelegt werden.Eine Behandlung mit Mitoxantron kann sowohl die Häufigkeit von Schüben reduzieren als auch die chronisch progrediente Verschlechterung verringern. Allerdings gibt es auch bei diesem Medikament Patienten, die wenig von der Therapie profitieren.Die Wirksamkeit von Mitoxantron ist bedingt durch anti-entzündliche bzw. immunsup-pressive Effekte, eine direkte neuroprotektive Wirkung ist auch für diese Substanz nicht bekannt. Darüber hinaus finden Cyclophosphamid, Azathioprin und Methotrexat Anwendung in der MS-Therapie. Die Wirkung dieser Medikamente auf die Nervenzellschädigung ist nicht genau untersucht. Da es sich jedoch auch bei diesen Wirkstoffen um primär immunsuppressiv wirksame Substanzen handelt, ist eine direkte neu-roprotektive Wirkung nicht zu erwarten.

FAZIT

Zusammengefasst besitzt keine der bislang etablierten Therapien zur Behandlung der MS eine am Menschen nachgewiesene direkte neuroprotektive Wirkung. Jedoch kann eine möglichst früh begonnene und konsequent durchgeführte Immuntherapie durch die Hemmung der autoimmunen Entzündung die akute Schädigung von Nervenzellen bis zu einem gewissen Grad verringern, also indirekt neuropro-tektiv wirken. Um eine optimale Neuroprotektion bei MS zu erreichen, erscheint die Ergänzung der bislang bekannten Therapieoptionen durch eine primär neuroprotektive Behandlungsstrategie sinnvoll.

ENTWICKLUNG NEUROPROTEKTIVER THERAPIEN

Für eine Substanz, die bei der MS das Überleben von Nervenzellen fördern und das Risiko der bleibenden Behinderung vermindern soll, sind folgende Kriterien wünschenswert: Sie sollte unter autoimmun-entzündlichen Bedingungen wirksam sein und den Untergang von Nervenzellen verhindern.Darüber hinaus sollte sie eine gute Verträglichkeit besitzen. Parallel zur Therapieentwicklung ist es wichtig, „Marker“ zu etablieren, um gerade die Patienten identifizieren zu können, die eine neuroprotektive Therapie benötigen. Solche „Marker“ könnten verbesserte bildgebende Techniken liefern oder auch eine umfangreichere Analyse von Eiweißstoffen im Nervenwasser. Theoretisch ist für eine große Anzahl verschiedener Substanzen eine neuroprotektive Wirkung denkbar.Um herauszufinden,welche Stoffe bei der MS tatsächlich wirksam sein könnten, ist es notwendig, zunächst genau zu untersuchen, welche Mechanismen dem Untergang von Nervenzellen und deren Fortsätzen zugrunde liegen. Es hat sich gezeigt, dass der Großteil der Nervenzellen durch die Aktivierung eines „Selbstmordprogramms“ (Apoptose) zugrunde geht. Auch bei anderen Erkrankungen des Gehirns, wie beispielsweise der Alzheimer-Demenz,der Parkinsonschen Erkrankung und der amyotrophen Lateralsklerose ist dies der Fall, obwohl sich diese Erkrankungen in vielen anderen Aspekten grundsätzlich von der MS unterscheiden.

VIELVERSPRECHENDER KANDIDAT: ERYTHROPOIETIN

Im Rahmen aktueller Forschung werden derzeit Substanzen, die eine Blockade des Selbstmordprogramms von Nervenzellen bewirken, auf ihre neu-roprotektive Wirkung bei MS untersucht. Ein vielversprechender Kandidat ist das Erythropoietin, das auch
natürlicherweise im menschlichen Körper vorkommt und dessen Hauptaufgabe es ist, die Produktion von roten Blutkörperchen zu regulieren.Erythropoietin wird seit Jahrzehnten zur Behandlung von Blutarmut unterschiedlicher Ursachen eingesetzt und hat sich als sicher und gut verträglich erwiesen. Neuere Forschungsergebnisse an experimentellen Modellen der MS belegen, dass es darüber hinaus das Selbstmordprogramm von Nervenzellen unter entzündlichen Bedingungen hemmen kann

 

NEUROPROTEKTION AM BEISPIEL DER AKUTEN SEHNERVENTZÜNDUNG

Im Rahmen einer ersten klinischen Studie in der Abteilung Neurologie der Universität Göttingen wird diese Substanz derzeit zur Behandlung der akuten Sehnerventzündung, einer häufigen Erscheinungsform der MS, erprobt. Um die Schutzwirkung des Erythropoietins exakt zu erfassen, wird dabei in Zusammenarbeit mit der Augenklinik die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Erythropoietin getestet (Vision-Protect-Studie). Von den Augenärzten wird in diesem Rahmen eine Infrarot-gestützte, schmerz- und berührungslose Untersuchung der Netzhaut durchgeführt, eine sog. optische Kohärenztomografie.In der Netzhaut liegen die Nervenzellkörper, die mit ihren Fortsätzen den Sehnerven bilden.Aufgrund ihrer besonderen anatomischen Lage ist diese spezielle Gruppe von Nervenzellen vergleichenden Untersuchungen sehr gut zugänglich.

In die Studie eingeschlossen werden Patientinnen und Patienten, bei denen es erstmals zu einer Sehnerventzündung gekommen ist, und bei denen der Beginn der Symptome weniger als zehn Tage zurückliegt. Die Gabe von Erythropoietin erfolgt zusammen mit einer Hochdosis-Kortison-Behandlung, der Standardtherapie des akuten MS-Schubs. Diese Studie wird doppelblind und placebokontrolliert durchgeführt. Das bedeutet, dass bis zur Auswertung der Ergebnisse weder Arzt noch Patient wissen, ob Erythropoietin zusammen mit Kortison verabreicht wurde oder Kortison alleine. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die wissenschaftliche Aussagekraft der Studie zu erhöhen und die damit gewonnenen Erkenntnisse möglichst zügig für eine größere Gruppe von Patienten nutzbar zu machen

DR. MED. JENS R. PEHLKE
PROF.DR. MED.MATHIAS BÄHR
PRIV.-DOZ. DR. MED. RICARDA DIEM

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