Das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (GTS) oder kurz Tourette-Syndrom (TS) ist eine chronisch verlaufende neurologische Erkrankung. Das Tourette-Syndrom ist charakterisiert durch eine Kombination von motorischen und vokalen Tics.
Bis heute ist es Medizinern nicht möglich, das Tourette-Syndrom mithilfe apparativer Methoden nachzuweisen. Es ist also nicht bekannt, welche Veränderungen im Gehirn die für das Tourette-Syndrom typischen Symptome auslösen. Auch die Ursachen, die zur Entstehung der Erkrankung führen, liegen bis heute im Dunkeln. Neuere pathologisch-anatomische Befunde zeigen bei einigen Betroffenen eine Veränderung in verschiedenen Teilen der Basalganglien – einer Region im Gehirn, die u. a. für die Steuerung von Bewegungsabläufen verantwortlich ist.
Einige neurologische Erkrankungen – wie die Parkinson’sche Krankheit – werden durch eine Störung im Dopaminhaushalt verursacht. Auch beim Tourette-Syndrom vermuten Mediziner einen Zusammenhang zwischen dem Neurotransmitter Dopamin und den Symptomen der Erkrankung. Anders als bei Morbus Parkinson, bei dem ein Mangel an Dopamin vorliegt, ist der Botenstoff im Gehirn von Tourette-Patienten vermutlich überaktiv.
Bisher blieb dies eine nicht bewiesene Hypothese. Ein Argument dafür ist jedoch, dass Medikamente, die Dopamin blockieren, zumindest einen Teil der Krankheitszeichen mildern. Neben einem gestörten Gleichgewicht im Dopaminhaushalt könnten auch andere wichtige Überträgersubstanzen in die pathologischen Vorgänge beim Tourette-Syndrom involviert sein. Mediziner nehmen an, dass auch der Neurotransmitter Serotonin an den Vorgängen beteiligt ist.
Bei einigen Tourette-Patienten scheint ebenfalls ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Tic-Störung und einer Infektion mit einer bestimmten Bakterienart zu bestehen. Dabei handelt es sich um sog. Streptokokken der Gruppe A. Diese Erreger lösen z. B. Rachen- und Mandelentzündungen oder Scharlach aus. Einige Menschen produzieren Antikörper gegen diese Bakterien, die sich dann gegen körpereigenes Gewebe v. a. im Bereich der Basalganglien richten. Dieses sog. PANDAS-Syndrom (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders associated with Streptococcal Infections; dts. neurologisch-psychiatrische Erkrankungen des Kindesalters in Verbindung mit einem Streptokokken-Infekt) tritt vornehmlich bei Jungen kurz nach einer Streptokokken-Infektion auf und geht mit Tic-Störungen und Zwangssymptomen einher.
Amerikanische Wissenschaftler der Yale University fanden vor einigen Jahren bei einem Patienten eine Veränderung im Erbgut des Chromosoms 13. Ein Endstück des Chromosoms war abgebrochen und verkehrt herum wieder eingebaut worden. Diesen Vorgang bezeichnen Genetiker als Inversion. Auf dem betroffenen Bereich liegt ein Gen mit dem Namen SLITRK1. Es codiert für Genprodukte, die das Wachstum und die Verbindung von Nervenzellen steuern. Bei der Untersuchung weiterer Tourette-Patienten, zeigten sich diese Veränderungen in dem genannten Gen ebenfalls.
Es gilt als wahrscheinlich, dass jedoch die Veränderung eines Gens nicht ausreicht, um die Erkrankung auszulösen. Mediziner gehen heute davon aus, dass es mehrere verschiedene Risiko-Gene gibt, die sich gegenseitig beeinflussen und die für eine Ausbildung der Erkrankung disponieren. Niederländische Genetiker publizierten eine Studie, deren Ergebnisse darauf hindeuten, dass auch Veränderungen auf den Chromosomen 2 und 7 eine Rolle beim Tourette-Syndrom spielen könnten.
Antje Habekuß