Bei der Parkinson-Krankheit handelt es sich um eine Erkrankung des Nervensystems, die langsam fortschreitet. Verursacht werden die typischen Parkinson-Symptome durch eine Störung in einem kleinen, eng begrenzten Gebiet tief im Inneren des Gehirns, der sogenannten „schwarzen Substanz“.
Schmerzen und Missempfindungen wurden schon im 19. Jahrhundert von einem der Begründer der Neurologie, Charcot, als typische Symptome eines Parkinson-Syndroms beschrieben. Bei gezielter Befragung geben 40 Prozent der Parkinson-Patienten Schmerzen und/oder Missempfindungen an.
Trotz dieser Häufigkeit werden Schmerzen bei Parkinson-Patienten in ihrer Bedeutung weithin unterschätzt und verkannt. Wir wissen aber, dass Parkinson-Patienten ähnlich viel Schmerzmittel wie Arthrose-Patienten verschrieben bekommen. Nicht selten gehören Schmerzen zu den Erstsymptomen bei Beginn der Krankheit. Patienten gehen dann fälschlicherweise zum Orthopäden, beispielsweise wegen Schulterschmerzen. Einer Studie zufolge gingen Schmerzen bei etwa jedem zehnten Parkinson-Patienten der Diagnose sogar voraus und verschleppten die Diagnosestellung. In diesen Fällen folgen gelegentlich nicht zum gewünschten Erfolg führende Spritzen in das Schultergelenk unter der Fehldiagnose Arthrose oder Operationen am Rücken wegen Fehldiagnose enger Spinalkanal, Bandscheiben.
Aber auch im weiteren Verlauf der Erkrankung können beim Parkinsonsyndrom immer wieder Schmerzen auftreten, insbesondere im Rahmen von Wirkungsschwankungen der DOPA-Medikation, die nicht in Zusammenhang mit der Grunderkrankung gebracht und daher nicht zufriedenstellend therapiert werden. Bei einigen Patienten können Schmerzen das vorherrschende Symptom darstellen. Gerade bei Parkinson-Patienten mit Wirkungsschwankungen der DOPA-Medikation spielen Schmerzen häufig eine große Rolle. Das sind typischerweise die Schmerzen, die kommen und gehen in Abhängigkeit der Parkinson-Medikation und die auf zusätzliche höherdosierte DOPA-Medikation hin besser werden.
Hinzu kommt, dass die Schmerzintensität und das Schmerzerleben durch die Dopaminersatztherapie moduliert werden. Auch bei nicht Parkinson-bedingten Schmerzen, die im Alter wegen allerhand Veränderungen an den Gelenken und der Wirbelsäule sehr häufig sind, wirken Dopaminersatzstoffe lindernd auf die Schmerzintensität. Wie bei allen Schmerzen ist der Alarmcharakter von Schmerzen wie z. B. bei tatsächlichen gravierenden Bandscheibenvorfällen, Osteoporose, Harnverhalt, zu beachten und ggf. die entsprechende Diagnostik einzuleiten. Das ist vor allem bei plötzlichen und ungewohnten Schmerzen der Fall. Parkinson-Patienten sind aufgrund ihrer Krankheit, aber auch aufgrund ihrer Medikamente, prädisponiert zu folgenden Schmerzproblemen, die es im Besonderen zu berücksichtigen gilt: Verstopfung, Harnverhalt, Reflux-Krankheit, Magen- und Zwölffingerdarmgeschüre, arterielle Verschlusskrankheit und Raynaud-Phänomen unter Ergot-Dopaminagonisten, Beinvenethrombose.
Schmerzen, die unabhängig von den richtig und ausreichend dosierten Parkinsonmedikamenten auftreten bzw. sich durch die Dopaminersatzstoffe nicht modulieren lassen, erfordern vom behandelnden Neurologen mehr diagnostische Anstrengungen im Hinblick darauf, ob nicht etwas Parkinson-Unabhängiges dahintersteckt. Hier hilft als erster Schritt herauszufinden, ob die Schmerzen unter überschwelliger DOPA- oder Apomorphin-Gabe nachlassen oder nicht.
In der Praxis klagen Parkinson-Patienten vermutlich am häufigsten über Schmerzen der Muskeln, Knochen und Gelenke, die bei der typischen Parkinson-Krankheit in aller Regel gut auf die Dopaminersatztherapie ansprechen. Die Schmerzen werden von Patienten im Zusammenhang mit „Steifheit“ beschrieben und als Muskelkater, Glieder- und Knochenschmerzen sowie Verspannungen erlebt. Ziehende Schulter-Arm-Schmerzen werden häufig als orthopädische bzw. rheumatische Beschwerden fehlgedeutet (sog. „Schulter-Arm-Syndrom“).
Der Rückenschmerz wird durch die vornübergebeugte Haltung des Parkinson-Patienten gefördert. In der Extremform, der Kamptokormie, bei der es zu einer markanten (90 Grad) Beugung der Wirbelsäule beim Gehen kommt, sind schwerwiegende chronische Schmerzsyndrome keine Seltenheit. Interessanterweise stellt eine Operation im LWS-Bereich, die wohl zur Schmerzlinderung in den meisten Fällen durchgeführt wird, den Hauptrisikofaktor für die Entwicklung dieser als Kamptokormie bezeichneten Fehlhaltung dar.
Umschriebene Verkrampfungen der Muskeln, sog. Dystonien, können mit erheblichen Schmerzen einhergehen. Zusätzlich zu L-DOPA-induzierten Überbewegungen (Zappelhaftigkeit = Dyskinesien) zu Zeiten des Wirkmaximums einer L-DOPA-Einzeldosis entwickelt etwa ein Drittel der betroffenen Patienten derartige schmerzhafte Verkrampfungen der Beine, insbesondere einseitige Zehen-, Fuß- und Wadenkrämpfe. Sie treten vor allem in der zweiten Nachthälfte bzw. in den frühen Morgenstunden nach dem einnahmefreien Intervall der Nacht auf (sog. Off-Phasen-Dystonie). Sie treten auch während Off-Phasen (Off-Dystonie) am Tag auf. Off-Dystonien können aber auch den Kiefer sowie den Hals betreffen.
Patienten sprechen hier von Schmerzen in den Waden und Füßen – besonders abends, wenn sie sich hinlegen. Die vorübergehende Linderung durch Aufstehen und Herumlaufen ist typisch. Schmerzen um den Mund, zwischen den Leisten und am After: Derartige lokalisierte Schmerzsyndrome sind sehr selten, aber kommen bei Parkinson-Patienten vor und können die übrige Symptomatik vollkommen in den Hintergrund stellen.
Ameisenlaufen, Brennen (Parästhesien): Brennende Missempfindungen mit Taubheitsgefühlen sind sehr häufig bei Parkinson-Patienten. Einige Patienten bemerken das Ende einer On-Phase über Parästhesien bevor die Verschlechterung in der Motorik eintritt, und umgekehrt: Das Einsetzen der Wirkung von Dopaminergika kündigt sich über Parästhesien an.
Das wesentliche therapeutische Problem sind solche Schmerzen, bei denen kein Zusammenhang oder Ansprechen auf dopaminerge Medikation ersichtlich ist. Beim typischen, auf DOPA-haltige Medikamente ansprechenden Parkinson-Syndrom weist die griffige Einteilung der Schmerzen in solche mit zuviel und solche mit zuwenig an Dopaminersatztherapie auf das richtige therapeutische Handeln hin. Hier gilt es, die Wirkungsfluktuationen zu therapieren.
Off-assoziierte Schmerzen, z. B. im Rahmen von umschriebenen Muskelverkrampfungen (Dystonien), bessern sich oft nach Gabe von Dopaminergika. Bei hartnäckigen Schmerzproblemen mit Off-Dystonien sind die Medikamentenpumpen zu erwägen. Der Autor hat hiermit sehr gute Erfahrungen bei vielen Patienten gemacht. Wenn sichergestellt ist, dass sich chronische Schmerzen bei Parkinson-Patienten nicht durch Neueinstellung bzw. Erhöhung der dopaminergen Therapie lindern lassen, dann müssen weitere Optionen erwogen werden.
Auch beim Parkinson-Patienten ist an die vielen Ursachen von Schmerzen zu denken. Bei nicht zufriedenstellend behandelbaren Schmerzen sollte daher der Überprüfung psychosozialer Risikofaktoren, wie z. B. Depression, ungelöste soziale Konflikte oder Krankheitsverarbeitung, ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Die Depression beeinflusst bei Parkinson-Patienten die Lebensqualität in einem ähnlichen Umfang wie die motorische Behinderung.
Wenn Schmerzmittel bei Parkinson-Patienten eingesetzt werden, richtet man sich in Ermangelung besserer Empfehlungen und Daten nach dem WHO-Stufenschema. Kernpunkte sind die regelmäßige, nach einem zeitlichen Schema festgelegte Einnahme der Schmerzmittel (um einen konstanten Blutspiegel zur Schmerzprophylaxe zu erzielen) und die Auswahl der Schmerzmittel nach einem Stufenplan.
Als Basistherapie (Stufe 1) werden weniger starke Schmerzmittel (nichtopioide Schmerzmittel) verwendet. Wenn nach dem WHO-Stufenschema diese Medikation nicht (mehr) ausreicht oder nicht vertragen wird, erfolgt eine Kombination mit schwach oder stark wirkenden Morphinabkömmlingen (Opioiden) bzw. deren alleinige Applikation. Bei Parkinson-Patienten führen diese Medikamente auch als Pflasterform schnell zu Verwirrtheit. Eine zentrale Rolle in der medikamentösen Behandlung chronischer Schmerzen bei Parkinson-Patienten nehmen daher Antidepressiva ein, die im WHO-Stufenschema schon vorgesehen sind.
Bei schmerzhaften Muskelverkrampfungen (Dystonien) stellt die Botulinumtoxin-Therapie eine Option dar. Die tiefe Hirnstimulation kann über ihren potenten Effekt auf die Steifheit (Rigor) und Bewegungsverarmung (Akinese) nicht nur die motorische Behinderung, sondern auch die sekundären Schmerzen positiv beeinflussen. Nach eigener Erfahrung vor der Operation schmerzgeplagte Parkinson-Patienten beschreiben einen dramatischen Effekt auf nächtliche Schmerzen, wohl über eine Linderung des Rigors.
Krankengymnastik (Physiotherapie) ist eine wesentliche Säule nicht nur in der Therapie der chronischen und akuten muskuloskeletalen und sekundären Schmerzen, sondern hat auch einen vorbeugenden Aspekt. Aktive wie passive Bewegungstherapien werden von Patienten mit rigorbedingten Muskelschmerzen als wohltuend empfunden und dienen der Kontrakturprophylaxe und Haltungsverbesserung.
Bei den Haltungsanomalien wie der Kamptokormie und dem Pisa-Syndrom werden das Training der Rückenextensoren, Entspannung der Bauchmuskulatur und eine Wahrnehmungsschulung der Körperhaltung eingesetzt.
Das Tragen einer weichen Halskrause zur Unterstützung der Kopfhebung und Schmerzreduktion ist bei extremer Kopfbeugung hilfreich. Bei starker vornübergebeugter Körperhaltung bis hin zur Kamptokormie ist die Ausstattung mit einem hohen Rollator (mit verstellbaren Ellenbogenstützen, sog. Arthritis-Rollator) besonders hilfreich.
Prof. Dr. med. A. Ceballos-Baumann
Quelle: Ratgeber Parkinson 2010