Die Pränataldiagnostik ist ein wichtiger Baustein der Schwangerschaftsvorsorge und umfasst bestimmte Untersuchungsmethoden, die vor der Geburt (pränatal) durchgeführt werden.
„Hauptsache es ist gesund“ – diesen Wunsch haben Schwangere sicher immer gehabt. Sie waren, wie man sagte, „guter Hoffnung“: Denn mehr als hoffen war nicht möglich. Die große Wende kam vor rund 50 Jahren: Seitdem ist es möglich, mithilfe des Ultraschalls einen Blick in den Bauch einer Schwangeren zu werfen und die Entwicklung des Ungeborenen zu verfolgen. Man sieht das Herz schlagen und kann das Geschlecht entdecken, außerdem kindliche Fehlbildungen oder Lageanomalien des Mutterkuchens feststellen. Das war der Beginn der Pränataldiagnostik (= Untersuchung vor der Geburt), die Schwangerschaft und Geburt für viele sicherer gemacht hat.
In den vergangenen zwanzig Jahren ist es gelungen, das Risiko von genetisch bedingten kindlichen Veränderungen (vor allem Trisomien) immer früher und verlässlicher vorherzusagen. Bekannt und weithin üblich ist in diesem Zusammenhang das „Ersttrimester-Screening“ (ETS), bei dem ca. in der zwölften Schwangerschaftswoche die sog. Nackenfalte des Kindes gemessen und daraus, in Kombination mit im mütterlichen Blut gemessenen Laborwerten, das individuelle Risiko für eine Trisomie berechnet wird.
Das ist allerdings nur ein Schätzwert, keine klare Aussage. Falls laut ETS ein erhöhter Verdacht für eine Trisomie besteht, ist eine Fruchtwasserentnahme erforderlich, um die Diagnose auszuschließen oder zu bestätigen: Anders kam man bislang nicht an das in den kindlichen Zellen gelagerte Erbgut, die Chromosomen, heran. Dieser „invasive“ Eingriff, d. h. der Stich mit der Nadel in die Gebärmutterhöhle, ist nicht nur gefährlich und kann in bis zu 1 % der Fälle eine Fehlgeburt auslösen – er kann außerdem erst ab ca. der 15. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
Wenn sich dann, nach weiteren Wochen des Wartens bis zum Endergebnis, tatsächlich der Verdacht auf Trisomie bestätigt und die werdenden Eltern sich für einen Abbruch entscheiden, weil sie die Belastung eines „behinderten“ Kindes nicht anders meinen abwenden zu können, ist das „Kleine“ oft schon spürbar lebendig; es muss eine künstliche Geburt eingeleitet werden. Das ist eine extreme Belastung für alle Beteiligten.
Über viele Jahre haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen versucht, das Erbmaterial des Ungeborenen im Blut der Mutter zu finden, um es so „nicht-invasiv“ und damit ungefährlich untersuchen zu können. Im Jahre 2012 kam der Durchbruch: Seither können nicht nur Anteile von kindlichen Chromosomen schon in der frühen Schwangerschaft aus dem Blut der Mutter herausgefiltert werden, sondern mithilfe komplizierter Analysen kann geklärt werden, ob eine Trisomie vorliegt. Das war die Geburt der nicht-invasiven Pränataltests, abgekürzt NIPT. Im Verlauf der Zeit wurde die Methode verfeinert und inzwischen auf die Erkenntnis auch anderer, seltener Chromosomen-Veränderungen ausgedehnt.
Für die Untersuchung spricht, dass sie früh in der Schwangerschaft durchführbar, ungefährlich und höchst verlässlich ist. Einige Milliliter Blut der Schwangeren reichen aus, das Resultat liegt nach wenigen Tagen vor. Bei „negativem“ Ergebnis – kein Verdacht auf Veränderung des Erbgutes – kann die Schwangere fast zu 100 % sicher sein, dass ihr Kind keine Trisomie hat. Nur wenn das Resultat „positiv“ ausfällt, wird zur doppelten Bestätigung noch eine Fruchtwasserentnahme empfohlen, also deutlich seltener als bislang.
Der bedenkenswerte Nachteil: Die Hemmschwelle für den Test ist gering. Das kann dazu verführen, ihn häufig einzusetzen bis dahin, letztlich alle Ungeborenen zu testen, also ein allgemeines Screening anzubieten. Da sich bekanntermaßen bis zu 95 % der werdenden Eltern bei der Diagnose „Trisomie“ zu einem Abbruch der Schwangerschaft entscheiden, kann das zu einem „Aussieben“ von Ungeborenen mit dieser Diagnose führen.
Noch ist die NIPT kein Standard in der Mutterschaftsvorsorge; der Test muss (wie bislang das ETS) von der Schwangeren selbst bezahlt werden. Die Preise sind von anfangs über 1.200 Euro auf inzwischen 250 bis 400 Euro gefallen, je nach Labor und Umfang. Es wird derzeit intensiv diskutiert, ob NIPT als Kassenleistung eingeführt werden soll.
Die Befürworter der NIPT haben einige starke Argumente: Durch den sicheren und ungefährlichen Test kann vielen werdenden Müttern/Eltern schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft die Sorge vor einem behinderten Kind genommen werden. Das ist besonders wichtig, weil die Mütter immer älter werden und mit steigendem Alter das Risiko für die Geburt eines Kindes mit Trisomie zunimmt.
Vor allem wird betont, dass die Zahl der „unnötigen“ Fruchtwasserentnahmen und der damit ausgelösten Fehlgeburten reduziert werden kann. Wie viele das sind, ist schwer exakt zu beziffern; man muss von mehreren hundert pro Jahr ausgehen. So sei insgesamt die Einführung von NIPT eine Erleichterung für die Schwangeren, sei es als Kassenleistung nur bei erhöhtem Risiko (z. B. Alter der Mutter über 35 Jahre) oder vielleicht sogar als Screening für alle.
Aber es gibt auch viele ernst zu nehmende warnende Stimmen, die von vielen Ärzten und Ärztinnen geteilt werden: Kritiker sehen in dem breiten Einsatz des Tests eine Abwertung von Menschen mit Downsyndrom und anderen Beeinträchtigungen. Damit gehe ein Verständnis einher, bei dem Behinderung gleichgesetzt wird mit Leid und Belastung.
Schon die Suche nach Abweichungen diskriminiert die Betroffenen, es ist ein Indikator für die gesellschaftlichen Wertvorstellungen: Damit wird die bedingungslose Annahme von Menschen, die in diese Welt geboren werden, infrage gestellt. Aus dieser Sicht besteht zudem die Gefahr, dass Schwangere sich zum Test gedrängt fühlen, dass der Druck wächst, alles sei medizinisch machbar, und sie seien im Sinn einer Zumutung zuständig für die Geburt eines „gesunden“ Kindes.
Die nicht-invasive Pränataldiagnostik ist auf dem Markt. Schwangere müssen darüber informiert werden, das sehen die Mutterschaftsrichtlinien vor. Wie eine Frau das Angebot von NIPT bewertet, ob als Chance oder als Überforderung, hängt maßgeblich von ihrer Lebenssituation ab. Letztlich geht es immer um die Frage der Selbstbestimmung. Und die hängt davon ab, wie gut sie informiert ist und welche Alternativen sie sieht und hat.
Dr. Claudia Schumann
Quelle: Deutsches Magazin für Frauengesundheit 2/2018