Vulvakrebs ist eher selten, er macht nur etwa 4 bis 5 Prozent aller Genitalkarzinome aus. Frauen, die von Vulvakrebs betroffen sind, leiden meist unter Tumoren an den großen Schamlippen, aber auch die kleineren Schamlippen und die Klitorisregion können betroffen sein.
Priv.-Doz. Dr. med. Dan O’Dey, Aachen, hat Operationsmethoden, wie die aOAP-Lappenplastik (anterior Obturator Artery Perforator flap) und die OD-Lappenplastik (Omega-Domed flap) zur Rekonstruktion der Vulva sowie den bi-vektoriell superioren Mamillen-Areola-Komplex zur Konstruktion der weiblichen Brust entwickelt. Zahlreichen Frauen kann so nach einer Deformation der äußeren Geschlechtsmerkmale, verursacht durch z. B. Tumoren zu einem neuen Selbstwertgefühl und körperlicher Integrität verholfen werden. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und Methoden der Rekonstruktion.
Ich habe mich schon früh für Anatomie, Form- und Funktionsoptimierung interessiert. Daher habe ich versucht meine eigenen plastisch-chirurgischen Fragestellungen zu klären und neue Operationsmethoden entwickelt.
Nach Entfernung des Tumorgewebes entstehen ausgedehnte Gewebedefekte. Dieses fehlende Gewebe muss neu hinzugefügt werden. Die Basis der plastisch-chirurgischen Rekonstruktion sind sog. Lappenplastiken, auf Englisch „flaps“ genannt. Hierbei verpflanzt man Gewebeareale aus anderen Regionen, die der Struktur der Empfängerregion ähnlich sind. Das setzt eine gute Kenntnis der Anatomie und mikrochirurgische Fertigkeiten voraus. Bei der Rekonstruktion wendet man insbesondere folgende Grundsätze an: „Gleiches mit Gleichem zu ersetzen“, „ästhetische Einheiten zu berücksichtigen“ und „Narbenbildung zu reduzieren“.
Form und Funktion der Vulva sind einzigartig. Daher kommen auch hier die Grundprinzipien der Rekonstruktion zum Tragen. Bei der aOAP- Lappenplastik (anterior Obturator Artery Perforator flap) entnimmt man Gewebe aus der unmittelbaren Umgebung. So lässt sich die Vulva in ästhetisch-funktioneller Weise rekonstruieren. Bei der OD-Lappenplastik (Omega-Domed flap) rekonstruiert man die Klitorisregion. Das Ziel ist stets eine normale Anatomie wiederherzustellen.
Direkt nach der Operation bekommen die Patientinnen für die erste Zeit ein Spezialbett und weitere Unterstützungen, um den Heilungsprozess der sensiblen Bereiche zu fördern. Eine normale Genitalfunktion ist typischerweise bereits nach wenigen Wochen möglich.
Neben klassischen Rekonstruktionsverfahren (DIEP-Lappenplastik), kommt der bi-vektoriell superiore Mamillen-Areola-Komplex zum Einsatz. Hier werden Lappenplastiken mit Gefäßsystemen aus zwei verschiedenen Ebenen verwendet. Diese erhöhen die Vitalität und Flexibilität des Brustgewebes und reduzieren gleichsam Zugspannungen. Somit erreicht man ein anatomisch ansprechendes und damit ästhetisches Ergebnis. Die Tumorentfernung und Rekonstruktion erfolgen häufig in einer Operation. Das hat den Vorteil, dass Frauen nicht unter dem sichtbaren Verlust der Brust leiden müssen und kein Narbengewebe die Rekonstruktion erschwert.
Wichtig bei allen Tumorkrankungen ist, dass die Patientinnen von einem interdisziplinären Team professionell aufgefangen werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die psychische Belastung derartiger Erkrankungen in Kombination mit dem anstehenden Gewebeverlust häufig sehr hoch ist. Das Verständnis für und Einfühlungsvermögen in die jeweils individuelle Situation sind seitens des gesamten Behandlungsteams daher für den Heilungserfolg besonders wichtig. Das große Potential der Rekonstruktion ist es, zum psychophysischen Gleichgewicht und damit zur Rückgewinnung der Normalität beitragen zu können.
Quelle: Leben? Leben! 2/2015