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Vulvakrebs

Vulvakrebs ist eher selten, er macht nur etwa 4 bis 5 Prozent aller Genitalkarzinome aus. Frauen, die von Vulvakrebs betroffen sind, leiden meist unter Tumoren an den großen Schamlippen, aber auch die kleineren Schamlippen und die Klitorisregion können betroffen sein.

Vulvakrebs
© iStock - STEEX

Die Folgen einer schlechten Therapie von Vulvakrebs

Eisblume – das Leben nach der Therapie des Vulvakarzinoms

Birte, 67 Jahre, vertraute die Therapie ihres Vulvakarzinoms einem Operateur an, der sich als Fehlgriff erwies, obwohl er ihr von ihrer Gynäkologin als Experte für diese Erkrankung empfohlen worden war. Birte verlor große Teile ihres äußeren Genitales, fand aber durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen für sich einen Weg, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Nach Auskunft der VulvaKarzinom-Selbsthilfegruppe e. V. ist Birtes Geschichte kein Einzelfall, die schlechte medizinische Versorgungslage bei dieser seltenen Erkrankung mit seit Jahren steigenden Fallzahlen (3.800 bis 4.900 Neuerkrankungen pro Jahr) ist in Fachkreisen bekannt.

Wie viele Frauen las ich von Waris Dirie das Buch Wüstenblume, in dem sie die rituelle Genitalverstümmelung beschreibt, die ihr widerfahren war. Ich war froh, dass in Deutschland Rechte und die körperliche Integrität von Frauen einen anderen Stellenwert haben. Nie hätte ich gedacht, dass auch ich von einer Genitalverstümmelung und dem Verlust meiner Klitoris betroffen sein könnte, und doch ist mir das infolge einer Übertherapie meiner Krebserkrankung im Genitalbereich passiert. Ich war körperlich und seelisch zur „Eisblume“ geworden.

Diagnose Vulvakarzinom

Meine Krankengeschichte beginnt im Januar 2011, als ich erste Auffälligkeiten entdeckte. Meine Frauenärztin stufte das Ganze zunächst als harmlos ein. Bei dem Kontrolltermin drei Monate später ergab die dann durchgeführte Biopsie (Gewebeentnahme und -untersuchung) ein für mich niederschmetterndes Ergebnis. Ich hatte ein Vulvakarzinom mit umgebender Vorstufe. Ich beratschlagte mich mit ihr, wo ich die Therapie durchführen lassen kann, denn mir war schon klar, dass nicht jeder Arzt eine gute Wahl für die Therapie einer seltenen Krebserkrankung ist.

Meine Gynäkologin legte mir den damaligen Chefarzt des nächstgelegenen zertifizierten Gynäkologischen Krebszentrums ans Herz. Durch die Zertifizierung sei sichergestellt, dass onkologische Qualitätsstandards eingehalten werden würden. Der Professor sei ein ihr persönlich bekannter Spezialist für Krebserkrankungen und sicherlich auch für das Vulvakarzinom eine gute Adresse. Aus heutiger Sicht weiß ich, dass sie die Therapiegüte ihres Kollegen eigentlich gar nicht einschätzen konnte, weil sie sich viel zu wenig mit dieser Krebserkrankung und der VIN (Krebsvorstufe) befasst hat. Ich bin in ihren vielen Berufsjahren ihre einzige Patientin, die hieran erkrankt ist, und es ist statistisch gesehen eher unwahrscheinlich, dass sie in ihrer Praxis mehr als eine weitere Patientin zu Gesicht bekommen wird – wenn überhaupt. Außerdem stimmt die Annahme nicht, ein guter Operateur, beispielsweise für das Mammakarzinom (Brustkrebs), müsse zugleich auch ein guter Operateur für das Vulvakarzinom sein. Das ist darin begründet, dass jede Krebserkrankung andere Anforderungen an eine gute Therapie stellt. Ich bin zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht auf die Idee gekommen, ihre Empfehlung zu hinterfragen oder mir Gedanken darüber zu machen, was bei der Zertifizierung geprüft wird und ob die Zertifizierung überhaupt eine verlässliche Aussage bezogen auf die Diagnose und Therapie von VIN und Vulvakarzinom liefert. Ich war einfach nur froh, auf Empfehlung der Ärztin meines Vertrauens einen Experten für meinen Krebs gefunden zu haben, dessen Qualität durch die Zertifizierung nachgewiesen worden war.

Die Operation

Die Zeit bis zur Operation nahm ich wie durch einen Nebel wahr, ich hätte mich angesichts dessen, was auf mich zukommen sollte, am liebsten in ein Mauseloch verkrochen und überlegte mir, ob ich mich wirklich operieren lassen wollte. Ende März 2011 fand die Operation dann schließlich nach schlaflosen Nächten statt. Dass mir die Klitoris zwingend zusammen mit dem Tumor entfernt werden müsse, wenn ich den Krebs besiegen wollte, hatte mir der Professor im Aufklärungsgespräch mitgeteilt. Mir war allerdings nicht klar, wie schwerwiegend die Auswirkungen dieses Verlustes auf mein Gefühlsleben und meine Sexualität sein sollten. Es stimmt zwar, dass Sexualität nicht nur im Genitalbereich stattfindet, aber die Klitoris spielt als besonders sensibles Organ schon eine große Rolle für ein erfülltes Sexleben und das gilt nicht nur für junge Frauen. Dass mir die kleinen Labien entfernt werden sollten, war mir bereits vor der OP eröffnet worden, nicht informiert wurde ich aber darüber, dass mein Scheideneingang nur noch ein fingergroßes Loch sein würde. Er war so zugenäht, dass die Nähte und die Spannung, unter der das Gewebe stand, mir Schmerzen beim Laufen und Treppensteigen verursacht haben. Sitzen empfand ich als unangenehm. Ich war am Boden zerstört.

In dieser Situation habe ich mich viel mit meinem Mann gestritten, der mich mit einem „Hauptsache, Du wirst wieder gesund!“ aufmuntern wollte und bei dem nicht ankam, dass ich um all das trauerte, was ich nie wieder haben konnte und das diese Trauerarbeit Zeit braucht. Auch konnte ich nicht akzeptieren, wie entstellt das für mich weiblichste meiner Organe aussah. Dabei wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass mir die bitterste Erkenntnis noch bevorstand. Als ich mich endlich näher mit meiner Erkrankung befasst habe, musste ich feststellen, dass ich für nichts und wieder nichts ein Großteil meines Genitales, insbesondere meine völlig gesunde Klitoris, verloren hatte, die Kontrolle meiner Wächterlymphknoten auf Metastasen bei der sog. Sentinel-Lymphonodektomie fehlerhaft war, was für mich verheerende Folgen hätte haben können, und die vom Tumorboard (= Konferenz von Ärzten mehrerer Fachrichtungen, bei der der Gesundheitszustand und die Therapie jedes einzelnen Krebspatienten diskutiert wird) empfohlene vorsorgliche Bestrahlung überflüssig war.

Nach meiner OP habe ich schnell gemerkt, dass ich den Austausch mit anderen Frauen brauche, die aufgrund ihrer eigenen Erkrankung an einem Vulvakarzinom nachvollziehen können, was mir auf der Seele brennt und mich so belastet. Ich wollte wissen, wie andere mit dem, was ihnen widerfahren ist, umgehen. Zunächst war es ungewohnt, meine Gedanken in einem Online-Forum zu äußern, mir fiel aber sofort auf, wie herzlich der Umgang miteinander ist und dass ich über alles „sprechen“ kann. Die Forumsgemeinschaft war es auch, die mich ermuntert hat, wegen der mir als Folgetherapie nahe gelegten Bestrahlung noch einmal in der Klinik nachzufragen. Einiges von dem, was ich zu meiner Krankengeschichte berichtet hatte, sprach nach Meinung meiner Mitbetroffenen dafür, dass diese Empfehlung möglicherweise nicht mit der Behandlungsstandards regelnden Leitlinie zum Vulvakarzinom in Einklang zu bringen war, was sich dann auch betätigte. Hätte ich nicht das Gespräch gesucht, wäre ich mit nicht unerheblichen Folgen für meine Lebensqualität 30 Mal bestrahlt worden. Wenigstens das ist mir dank meiner Eigeninitiative erspart geblieben.

Durch den Erfahrungsaustausch wurde mir außerdem die große Bedeutung einer offenen Kommunikation für meine Partnerschaft klar, denn eine Krebserkrankung betrifft immer auch den Partner. Mein Mann und ich sprachen über unsere Ängste, den Frust, die Hoffnung und konnten gemeinsam über das Trauern, was aus unserer Sexualität förmlich herausgeschnitten worden war. Trotzdem mochte ich mich nicht mit meiner Verstümmelung abfinden. Mir war es wichtig, wieder ein weibliches Erscheinungsbild meiner Vulva zu erhalten und ihre Funktionalität rekonstruieren zu lassen. Meine entfernte Klitoris war unwiederbringlich verloren, aber ein Spezialist für meine Erkrankung, auf den ich dank des Forums stieß und der eine hohe Patientinnenzufriedenheit hat, leistete sehr gute Arbeit. Selbst Geschlechtsverkehr ist wieder möglich. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass diese zweite OP entbehrlich wäre, hätte ich gleich einen Operateur mit entsprechender Expertise aufgesucht. Dieser hätte selbstverständlich einen durch die Tumorentfernung entstandenen Defekt, sofern das erforderlich gewesen wäre, in derselben OP durch eine plastische Rekonstruktion geschlossen.

Ich wurde jetzt sauer. Meine Übertherapie, die unsinnige Therapieempfehlung, mich bestrahlen zu lassen, und dann noch eine vermeidbare zweite OP – war das „Qualität made in Germany“? Ich beschloss zu überprüfen, was es mit der Zertifizierung von Gynäkologischen Krebszentren auf sich hat. Bei meiner Recherche stellte ich fest, dass es bei der Zertifizierung um Prozesse und Abläufe geht, dass aber keine bzw. keine hinreichenden Qualitätsmerkmale speziell für das Vulvakarzinom einer Betrachtung unterzogen werden. Insbesondere die für eine gute Therapie so wichtigen Erfahrungen von Operateuren und ihren Teams mit dem Vulvakarzinom spielen keine Rolle. D. h. letztendlich ist es Zufall, ob eine Patientin mit einem Vulvakarzinom in einem zertifizierten Gynäkologischen Krebszentrum eine gute oder eine schlechte Therapie erhält, je nachdem, ob sie an einen Spezialisten für ihre Erkrankung gerät oder nicht. Ich war entsetzt und musste an meine Mitstreiterinnen im Forum denken, die im Vertrauen auf eine gute Therapie einfach nur das Pech hatten, an den falschen Operateur geraten zu sein. Andere hatten Glück und waren in einem derartigen Zentrum oder in einer nicht zertifizierten Klinik schonend auf dem Stand von aktuellen Erkenntnissen operiert worden. Für mich ist das Bewerben derartiger Zentren im Zusammenhang mit dem Vulvakarzinom und seinen Vorstufen eine Irreführung, denn es vermittelt Patientinnen das trügerische Gefühl der Sicherheit, sie würden dort durch die Zertifizierung ein Rundum-sorglos-Paket erhalten. Das ist aber gerade nicht der Fall. Für mich war die Auseinandersetzung mit den Folgen meiner schlechten Therapie schlimmer als das Bewältigen meiner Krebserkrankung und ich erlebe beim Erfahrungsaustausch viele betroffene Frauen, denen es genauso geht.

Wie geht es mir heute?

Lachen und Fröhlichkeit sind wieder in mein Leben zurückgekehrt. Unsere Partnerschaft haben wir kitten können und wir sind als Paar an den Herausforderungen meiner Erkrankung gewachsen. Das schließt auch ein erfülltes Sexleben mit ein, obwohl etliches anders ist als vor meiner Krebs-OP. Aber es gibt auch die dunklen Stunden, in denen ich über das, was alles bei mir schief gelaufen ist, trauere. Ich kann und werde nicht akzeptieren, dass mir die Klitoris weggeschnitten worden ist, als sei sie ein lästiges Anhängsel. Ich kann andere Betroffene nur ermutigen, kritische Fragen über die Erfahrungen des Operateurs zu stellen und sich genau zu informieren, was bei ihnen als Therapie beabsichtigt ist. Es kann sehr viel Lebensqualität erhalten, sich eine qualifizierte Zweitmeinung einzuholen und sich in unserer Selbsthilfeorganisation mit anderen Patientinnen auszutauschen. Dem Diagnoseschock sollte nicht der Schock einer schlechten Therapie folgen.

Birte, 67 Jahre alt

Quelle: Leben? Leben! 2/2016

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