Unter dem Begriff Brustkrebs, auch Mammakarzinom (lat. Mamma = Brust) genannt, versteht man bösartige Tumoren (Geschwulsterkrankungen) der Brustdrüse.
Erste Chemotherapie-Studien wurden 1970 durchgeführt. Seither hat sich vieles verändert. Vor allem die Substanzen, die zum Einsatz kommen, wurden weiterentwickelt, aber auch die Verträglichkeit der Therapie hat sich gebessert. Priv.-Doz. Dr. Isabell Witzel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, und Prof. Dr. Diethelm Wallwiener, Universitätsklinikum Tübingen, erläutern wann eine Chemotherapie zum Einsatz kommt und wie sie wirkt.
Dr. Witzel: Die Chemotherapie kann entweder vor oder nach der Operation durchgeführt werden. Sie wird immer vor einer Bestrahlung der Brust oder Thoraxwand durchgeführt, d. h., die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie muss die Patientin relativ früh in der Behandlung treffen.
Prof. Wallwiener: Darüber hinaus kann eine Chemotherapie natürlich auch zur Behandlung von Metastasen eingesetzt werden. Im Rahmen der Primärbehandlung versuchen wir den Patientinnen möglichst eine individualisierte Therapie anbieten zu können. Mithilfe von Zusatztests, beispielsweise Genexpressionsuntersuchungen, können wir mittlerweile häufig auf eine Chemotherapie verzichten, auch in Fällen, in denen früher eine Chemotherapie empfohlen wurde. Auch in der Metastasierung versucht die Medizin möglichst lange eine sog. endokrine Behandlung, d. h. Hormonbehandlung, anbieten zu können.
Die Frage, wie hoch der Prozentsatz an Frauen ist, die eine Chemotherapie erhalten bzw. denen eine Chemotherapie empfohlen wird, ist nur schwierig zu benennen. Sehr großzügig gesehen und alles in allem, d. h. beide Gruppen berücksichtigend, kann man von ca. 60 % ausgehen.
Dr. Witzel: In Abhängigkeit von bestimmten Faktoren, die man untersucht (beispielsweise Hormonrezeptor auf dem Tumor oder Teilungsrate des Tumors, HER-2-Status) empfehlen die Ärzte eine Chemotherapie. Bei den Frauen mit hormonrezeptorpositivem, HER-2 negativen Brustkrebs gibt es eine Untergruppe, die sehr wahrscheinlich ein so geringes Rückfallrisiko hat, das auf eine Chemotherapie verzichtet werden kann.
Prof. Wallwiener: Im Rahmen der individualisierten Krebstherapie sind wir bereits dabei, auf Chemotherapien zu verzichten. Dies ist möglich mithilfe von Zusatzuntersuchung des Tumors auf weitere Eigenschaften, d. h. mit sog. Genexpressionstests. Hierbei konnten in einer Studie sogar bei über 50 Patientinnen beruhigt auf eine Chemotherapie verzichtet werden, die ohne diese Zusatzuntersuchungen – im Sinne einer maximalen Sicherheit – eine Chemotherapie erhalten hätten. In der Situation der Metastasierung des hormonabhängig wachsenden Mammakarzinoms sind wir durch den Einsatz neuer Medikamente, die zusätzlich zur konventionellen endokrinen Therapie verabreicht werden, in der Lage, auch längerfristig eine erfolgreiche Therapie anbieten und damit auch auf eine Chemotherapie verzichten zu können.
Dr. Witzel: Die Chemotherapie schädigt alle Zellen im Körper, die sich schnell teilen. Dazu gehören die Krebszellen, aber auch die Haarzellen, die weißen Blutkörperchen und Zellen der Mund-/Darmschleimhaut. Die gesunden Körperzellen können sich aber wieder erholen, wohingegen die Tumorzelle nur auf Wachstum hin ausgelegt ist und deshalb nach einer Schädigung wahrscheinlich abstirbt.
Prof. Wallwiener: In der Situation der Metastasierung versucht man vor allen Dingen unter Berücksichtigung der wiederherzustellenden Lebensqualität für die Patientin die Metastasen deutlich zu verkleinern, ggf. zum Verschwinden zu bringen und zu verhindern, dass sich neue Metastasen bilden.
Dr. Witzel: Die Standardtherapie dauert heutzutage sechs Monate, sie unterteilt sich in zwei Teilabschnitte zu je drei Monaten. Drei Monate lang kommt die Patientin einmal alle drei Wochen, drei Monate lang kommt sie wöchentlich (oder umgekehrt).
Prof. Wallwiener: Je nach Tumorart und Therapieschema kann es allerdings durchaus sein, dass die Medikamente wöchentlich oder zweiwöchentlich verabreicht werden. Das gleiche gilt für eine Chemotherapie zur Behandlung einer metastasierten Erkrankung. Hier werden meist sog. Monochemotherapien eingesetzt. Das Intervall und die Dauer der Infusion orientieren sich jeweils an der entsprechenden Substanz. Während in der vorbeugenden, d. h. adjuvant-neoadjuvanten Situation, das Therapieschema und die Therapiedauer der Gesamttherapie genau vorgeschrieben sind, wird i. d. R. in der Metastasierung über drei Monate behandelt und dann eine entsprechende Beurteilung der Metastasen, meist durch bildgebende Verfahren (CT-Untersuchung), vorgenommen.
Dr. Witzel: Die Höhe des Rückfallrisikos aber auch der Allgemeinzustand einer Patientin entscheiden über die Auswahl der Chemotherapie.
Prof. Wallwiener: In der Metastasierung wird die Entscheidung je nach Vortherapie und dem sog. Remissionsdruck getroffen. Dies bedeutet, je schneller eine Therapie wirken muss, um ggf. eine Metastasierung zum Verschwinden zu bringen, die Symptome hervorruft. Wesentlich ist auch die Akzeptanz der Patientin bzgl. potenzieller Nebenwirkungen u. a. erneuter Haarverlust oder Taubheit im Bereich von Händen und Füßen.
Dr. Witzel: Die Chemotherapie wird als relativ verträglich beschrieben. Natürlich ist das von Frau zu Frau unterschiedlich. Nur ganz wenige Frauen aber vertragen die Therapie so schlecht, dass sie sie abbrechen müssen. Manche Nebenwirkungen treten sehr schnell im zeitlichen Abstand zur Infusion auf, andere erst im Abstand von Tagen bis Wochen.
Prof. Wallwiener: Wesentlich ist es, die potenziellen Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu kennen. Man kann dann eine vernünftige vorbeugende, begleitende Therapie einleiten. Übelkeit und Erbrechen sollten heute kein Thema mehr sein.
Dr. Witzel: Die häufigsten akuten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Entzündungen der Mundschleimhaut und Abgeschlagenheit. Bei Frauen bleibt normalerweise die Regelblutung unter der Chemotherapie aus.
Prof. Wallwiener: Möglich ist auch ein Abfall weißer Blutkörperchen und damit eine vermehrte Infektanfälligkeit.
Dr. Witzel: Die meisten Nebenwirkungen lassen sich gut lindern, Erbrechen unter der Chemotherapie sollte es beispielsweise dank guter Begleitmedikamente kaum noch geben. Mundspüllösungen, auch auf pflanzlicher Basis helfen, die Entzündung der Mundschleimhäute zu lindern. Ein begleitendes Bewegungsprogramm kann die Verträglichkeit der Therapie insgesamt erhöhen.
Prof. Wallwiener: Wichtig ist es, die Nebenwirkungen zu kennen und die vorbeugenden Maßnahmen zu ergreifen.
Dr. Witzel: Es gibt Langzeitfolgen. Hierzu gehört beispielsweise die Fatigue, eine dauerhafte Abgeschlagenheit, die die Patientinnen in ihrem Alltag deutlich einschränkt. Auch sind im langen zeitlichen Verlauf sehr selten bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems beschrieben. Es kann zu einer dauerhaften Einschränkung der Herzleistung kommen.
Prof. Wallwiener: Langzeitfolgen können u. a. Taubheit im Bereich von Händen und Füßen sein. Deshalb ist es wichtig die Patientinnen regelmäßig danach zu fragen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, u. a. Stoppen der Therapie, Einlegen einer Therapiepause oder Reduktion der Dosierungen. Vonseiten des Knochenmarkes kann anhaltend eine zu niedrige Anzahl an weißen Blutkörperchen auftreten, insbesondere nach einer dosisdichten Chemotherapie.
Prof. Wallwiener: Die Wirksamkeit einer Chemotherapie in der Situation der Metastasierung wird jeweils in dreimonatigen Intervallen überprüft, beispielsweise durch die Durchführung einer CT-Untersuchung. Wichtig ist, im Vorfeld eine möglichst gezielte Chemotherapie für die jeweilige Patientin herauszusuchen. Häufig werden neben der Chemotherapie deshalb auch Antikörper verabreicht. Spezielle Therapieschemata existieren beispielsweise für Patientinnen mit einem HER-2-positiven Mammakarzinom, aber auch für triple negative Karzinompatientinnen oder insbesondere auch für Patientinnen mit einer Genmutation für das familiäre Brust- oder Eierstockkrebsgen (BRCA1-/2-Mutation).
Quelle: Leben? Leben!