Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
„Krebsmedizin heute: präventiv, personalisiert, präzise und partizipativ“ – so lautete das Motto des 32. Deutschen Krebskongresses. „Ich habe mich in diesem Jahr für genau dieses Motto entschieden, da es die sehr umfassenden Anforderungen an die Krebsmedizin gut beschreibt“, erklärt Kongresspräsidentin Prof. Dr. Angelika Eggert.
„Die Prävention ist ein wichtiges Thema, es geht hier vor allem um die Vorbeugung von Erkrankungen durch eine gesunde Lebensführung, aber auch durch Vorsorge im Rahmen von Früherkennungsuntersuchungen“, betont Prof. Eggert. Europaweit gilt die Übereinstimmung, dass vor allem Bewegung, ein Verzicht auf Rauchen sowie übermäßige Sonneneinstrahlung sowie ein geringer Konsum von Alkohol neben der Vermeidung von Adipositas und dem ausreichenden Genuss von Obst und Gemüse sich günstig auf Gesundheit – und damit auch auf das Krebsrisiko auswirken können. Doch aufseiten des Gesundheitswesens und der Ärzteschaft gibt es hier weiterhin Nachholbedarf in der Bereitstellung von Patienteninformationen, wie die Kongresspräsidentin einräumt. „Besonders beim Thema Vorsorge müssen wir permanent Aufklärung betreiben.“ Dies sei etwa durch Aufklärungskampagnen im Fernsehen, aber auch durch Öffentlichkeitsarbeit in Praxen und die Aufklärung der Patientinnen im ärztlichen Gespräch möglich, ist sie sich sicher.
„Hier geht es darum, die individuellen Merkmale des Tumors, aber auch der Patientinnen zu berücksichtigen“, erklärt Prof. Eggert. In diesem Zusammenhang sei es das Ziel, das Rückfallrisiko eines Betroffenen von Beginn an vorherzusagen, um so etwa die nötige Aggressivität der Behandlung bestimmen zu können. „Diese Risikovorhersage funktioniert schon ziemlich gut“, bemerkt die Expertin. Heute könne das Tumorgewebe bereits viel besser untersucht werden als noch vor ein paar Jahren. „Es ist möglich, die Genausstattung des Tumors zu bestimmen und bald wird es auch möglich sein, die Proteinausstattung festzustellen.“ Auf dieser Basis könnten dann gezielt Therapien ausgewählt werden. Derzeit sind diese teuren und oft noch experimentellen Behandlungswege Patientinnen mit einem Rückfall vorbehalten. „In Einzelfällen können auf diese Weise vielversprechende Ergebnisse erzielt werden“, bemerkt die Kongresspräsidentin. „Der Weg zur Anwendung maßgeschneiderter Therapien in der Routine-Krebsmedizin ist allerdings insgesamt noch etwas weiter“, betont sie. Hier würden noch umfassende klinische Studien zum Erfolg der medikamentösen Behandlungen fehlen. Möglich sei zukünftig etwa auch eine Behandlung mit nicht nur einem, sondern verschiedenen zielgerichteten Therapien.
Auch die Diagnostik bei gynäkologischen Krebserkrankungen habe sich gebessert, z. B. beim Brustkrebs. „Hier tut sich viel bei der Diagnostik durch Blutproben“, erklärt Prof. Eggert. Diese sog. flüssigen Biopsien seien vielfach auch geeignet, um den Verlauf einer Therapie zu beurteilen.
„Die Partizipation der Patientinnen an der Therapieentscheidung ist uns sehr wichtig. Wir möchten sie hier aktiv mit einbeziehen“, verdeutlicht Prof. Eggert. „Die gute alte Tradition, nach der der Arzt allein eine Entscheidung trifft, ist vorbei.“ Heute versuche der behandelnde Mediziner die Patientinnen umfassend zu informieren, auch über mögliche alternative Therapien. Dann könne gemeinsam eine Therapie gefunden werden, die auf die persönlichen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten ist. „Die Fragen sind z. B., wie viel Aggressivität der Behandlung passt zur Lebenssituation des Patientinnen oder wie groß ist ihr Rückfallrisiko und wie lange möchte sie stationär behandelt werden?“, nennt Prof. Eggert einige Beispiele, die die Entscheidungsfindung beeinflussen. Generell sei eine Therapie nur erfolgsversprechend, wenn auch die Patientin dahinter stehe. „Wir brauchen die Energie der Patientinnen“, betont sie.
Die Aufgabe der Mediziner sei es dann auch, den Betroffenen zu helfen, die etwa im Internet gefundenen Informationen zu sortieren. „Wir helfen dabei, die seriösen von den unseriösen Infos zu unterscheiden“, bemerkt sie. Gute seriöse Informationen böten etwa die veröffentlichten Leitlinien zur Behandlung der einzelnen Krebserkrankungen, an denen die Patientinnen überprüfen könnten, ob die Behandlungsempfehlung, die sie bekommen haben, auch tatsächlich leitlinienkonform ist.
Der Kongress sei außerdem immer wichtig für die Thematisierung von neuartigen Behandlungsmethoden und Diagnostikverfahren, bemerkt die Kongresspräsidentin. „Auch richten wir immer den Blick in andere Länder, um voneinander zu lernen. Darüber hinaus dient der Kongresse dazu, die Lücke zwischen Labor und Krankenbett zu schließen“, erklärt sie. Schließlich sei der Kongress immer eine gute Möglichkeit, die Wissenschaft und die Ärzte zusammenzubringen. So lernten die Mediziner die Möglichkeiten kennen und die Wissenschaftler, wie umsetzbar ihre vorgeschlagenen Lösungen seien. Doch nicht nur für die Mediziner, sondern auch für die Patientinnen brachte der Kongress auch in diesem Jahr mit seinem Krebsaktionstag, bei dem sich jeder Laie persönlich auf dem Kongress informieren konnte, viele Erkenntnisse.
Quelle: Leben? Leben! 1/2016