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Lungenkrebs

Unter Lungenkrebs – geläufig ist auch der Begriff Bronchialkarzinom – versteht man die Neubildung bösartiger Zellen (maligne Neoplasie) im Lungengewebe bzw. in den unteren Atemwegen (Bronchien oder Bronchiolen).

Lungenkrebs
© iStock - utah778

Experteninterview: Therapie von Lungenkrebs

Wie sieht die moderne Therapie bei Lungenkrebs aus? Und welche neuen Möglichkeiten werden derzeit erforscht? Hierüber spricht Priv.-Doz. Dr. Jürgen Fischer, Chefarzt und Leiter des Lungenkrebszentrums einer Klinik im baden-württembergischen Löwenstein, im Experteninterview mit Befund Krebs.

Herr Dr. Fischer, was sind die derzeit gängigen Therapieverfahren bei Lungenkrebs?

Zu den gängigen Therapieverfahren beim Bronchialkarzinom kann man als kurativen Ansatz in den Frühstadien zunächst die Operation nennen. Etwa 30 % der Lungenkrebsfälle werden in einem solchen Stadium diagnostiziert. Die Operation wird sowohl bei kleinzelligen als auch nicht-kleinzelligen Karzinomen angewandt, denn auch kleinzellige Karzinome werden in ganz frühen Stadien, in denen sie nur selten entdeckt werden, operiert. An die Operation kann sich in bestimmten Stadien eine Strahlentherapie anschließen. Wenn nicht mehr operiert werden kann, ist das bei nicht-kleinzelligen Karzinomen eine Indikation für eine Bestrahlung als zweites gängiges Therapieverfahren. Wenn Metastasen vorhanden sind, wird i. d. R. eine Chemotherapie gemacht. Im Rahmen der Chemotherapie gibt es auch noch die zielgerichteten, personalisierten Therapieverfahren. Das sind oral als Tabletten einzusetzende Verfahren, die sich auf bestimmte biologische Veränderungen im Tumor beziehen, die man heute mit speziellen Methoden nachweisen kann.

Stichwort individualisierte Therapie: Welchen Stellenwert nimmt diese bei Lungenkrebs ein?

Die individualisierte Therapie ist eigentlich nur ein Begriff für eine zielgerichtete Behandlung, im Grunde ist dies auch schon bei der Behandlung eines nicht-kleinzelligen Karzinoms der Fall, das wir histologisch nachweisen. Bei der individualisierten Therapie geht es jedoch um bestimmte molekulare Veränderungen im Zellkern, um Mutationen, die nachgewiesen werden können. Die Mutation führt zum malignen Prozess. Wenn man diesen malignen Prozess unterbrechen kann, ist das wesentlich gezielter als bei einer normalen Chemotherapie, bei der man alles in Angriff nimmt.

Welche Ansatzpunkte gibt es hierbei genau?

Der epidermale Wachstumsfaktor (EGF) ist der wesentliche Ansatz, der als erstes entdeckt und therapeutisch ausgenutzt wurde. Der EGF sendet ein Wachstumssignal. Dieses wird von einem Rezeptor wie von einem Radioempfänger auf der Zelloberfläche aufgenommen. Dieses Signal gelangt dann über bestimmte Mechanismen von der Zellmembran in den Zellkern. Dann wird dort im übertragenen Sinne die Post aufgemacht – und drin steht als Nachricht,“bitte wachsen und teilen“. Bei der Therapie greift auf dem Weg von der Zelloberfläche zum Zellkern irgendwo der sog. Tyrosinkinase-Inhibitor, der Wirkstoff, der dieses Signal unterbricht. Ich spreche auch gerne vom Wegelagerer: Der wartet mit einem Knüppel auf den Postboten mit seiner Nachricht und zieht im eines über. Die Folge: Das Signal kommt nicht an und die Zelle wächst auch nicht.

Darüber hinaus gibt auch die Antikörper, die bewirken, dass das Signal nicht in die Zelle gelassen wird: Der Antikörper besetzt den Rezeptor dann so, dass das Wachstumssignal keinen Platz mehr hat – die Parklücke ist sozusagen besetzt. Der EGFR-Hemmer spielt bei etwa 10–15 % der nicht-kleinzelligen Karzinome eine Rolle, vor allem bei Frauen, die nie geraucht haben.

Ein weiterer Ansatzpunkt für die individualisierte Therapie ist die EML4-Alk-Translokation, die bei 4–5 % der nicht-kleinzelligen Lungenkrebsfälle vorkommt. Dabei ist die Mutation wie ein Schreibfehler zu verstehen, der ebenfalls zu unkontrolliertem Wachstum führt. Auch hier gibt es Inhibitoren, die auch mittlerweile als Medikamente zugelassen sind und sehr effektiv Wachstum verhindern können. Sie sind nicht ganz harmlos und haben auch Nebenwirkungen. Diese sind aber i. d. R. weit geringer als bei der klassischen Chemotherapie. Wir hoffen natürlich, dass wir immer mehr solcher spezifischen Veränderungen entdecken und entsprechende Medikamente entwickeln können.

Kann man sagen, dass die Ausprägungen verschiedener „Krebsarten“ bei Lungenkrebs stärker ist, als bei anderen Krebserkrankungen?

Wir nehmen mittlerweile an, dass der Lungenkrebs soviel Unterformen hat, wie wir sie eigentlich nur bei den hämatologischen malignen Erkrankungen kennen, z. B. den Lymphomen. Beim Mammakarzinom oder beim Magenkarzinom gibt es beispielsweise nicht so viele Untergruppen.

Würden Sie aus Sicht des Behandlers sagen, dass sich die Chancen für Lungenkrebspatienten durch die neu entwickelten Therapieformen in den letzten Jahrzehnten verbessert haben?

Das kann man relativ sehen. Die Überlebenszeiten bei metastasiertem Lungenkrebs sind in den letzten 20 Jahren im Mittel von acht bis zehn auf zwölf bis 14 Monate gestiegen – das ist natürlich nicht viel. Aber wenn wir die einzelnen Patienten anschauen, sind Verläufe, die über mehrere Jahre gehen, fünf Jahre und mehr, nicht mehr selten. Das ist einerseits möglich durch die neuen Therapien, aber auch durch Verbesserungen der klassischen Chemotherapie. Heute setzen wir Medikamente ein, die es vor 20 Jahren nicht gegeben hat. Als ich Assistenzarzt war, gab es eine Form von Chemotherapie. Heute können wir Zweit-, Dritt- bis hin zu Sechs-, Siebtlinien-Therapien machen. Auch die Supportivtherapie ist besser geworden. Deshalb haben sich aus meiner Sicht die Chancen für Lungenkrebspatienten deutlich verbessert. Und ich sehe auch, ohne euphorisch werden zu wollen, durchaus weitere Entwicklungsmöglichkeiten.

Mit der Einführung der Immuntherapie haben sich die Behandlungsmöglichkeiten nochmals deutlich verbessert und es gibt erste Hinweise, dass unter dieser Immuntherapie sehr lange Verläufe ohne erneute Tumorprogression möglich werden.

Neue Therapiemöglichkeiten werden ja in wissenschaftlichen Studien, den klinischen Behandlungskontrollen geprüft. Welche Vorteile kann es für Patienten haben, daran teilzunehmen?

Heute können wir sagen, die beste Behandlung, die der Patient bekommen kann, ist in einem klinischen Behandlungsprotokoll. Wir werden in einem Behandlungsprotokoll noch mehr kontrolliert als ohnehin schon – ich sage gerne, ich bin dann der gläserne Arzt. Man hat mal herausgefunden, dass allein schon das Behandlung in einem klinischen Behandlungsprotokoll, bei dem meist die Standard- gegen eine neue Therapie verglichen wird, bessere Ergebnisse bringt, weil die Ärzte noch genauer arbeiten. Alle Medikamente, die wir heute haben, haben wir vor einigen Jahren in solchen Behandlungsprotokollen getestet. Wir müssen dabei einen Nutzen nachweisen und das geht nur in solchen Prüfungen – aber das funktioniert nur, wenn diese nach gewissen Regeln ablaufen. Wir müssen die Behandlungsprotokolle bei den Behörden anmelden, eine Ethikkommission muss diese genehmigen, wir müssen qualifiziert genug sein und eine Infrastruktur vorhalten. Dafür können wir den Patienten frühzeitig Medikamente anbieten, die diese sonst noch nicht bekommen würden.

Für welche Patientengruppen ist es besonders lohnenswert, an einem Behandlungsprotokoll teilzunehmen?

Ich drehe diesen Satz gerne um: Wenn ich einen Patienten nicht in ein klinisches Behandlungsprotokoll aufnehme, muss ich dafür einen Grund angeben. Ein Patient hat ein Recht darauf, im Rahmen eines klinischen Behandlungsprotokolls behandelt zu werden. Die Patienten müssen natürlich Einschlusskriterien erfüllen, die vorgegeben sind, auch das ist Teil der Kontrolle. Meistens wird Standardtherapie plus eine neue Therapie geprüft, sodass die Patienten nicht die Angst haben müssen, eine weniger wirksame Behandlung zu bekommen. Sie werden natürlich vorab darüber aufgeklärt. Aber auch wenn eine neue Therapie allein geprüft wird, die ganz unwirksam sein sollte, merken wir das nach schneller Zeit, i. d. R. nach acht bis zwölf Wochen. Bis dahin ist noch nichts verloren, dann macht man eben weiter mit der Standardtherapie. Der Patient hat so eine Option mehr, die Standardtherapie läuft ihm dadurch nicht weg. Wenn ein Protokoll die Gefahr bergen würde, dass andere Therapien nicht mehr möglich sind, würde das keine Ethikkommission genehmigen.

Und was sind die derzeitigen Forschungsbestrebungen im Bereich Lungenkrebs, womit können Patienten rechnen?

Zum einem geht die Erforschung von weiteren auf molekularen Veränderungen gründenden Medikamenten weiter – da gibt es bereits weitere neue Präparate. Mittlerweile wissen wir, dass die im Therapieverlauf irgendwann eintretende Unwirksamkeit eines TKIs bei EGF-Rezeptor-Mutation mit dem Erscheinen einer Resistenz-Mutation einhergeht, für die ein kürzlich zugelassener Zweitlinien-TKI mit beachtlicher Wirkung zur Verfügung steht. Und auch für die Behandlung der ALK-translozierten Tumoren gibt es bereits orale Zweitlinientherapien.

Ein ganz neuer und innovativer Weg bei Lungenkrebs sind zum anderen die Immuntherapien. Ich komme selbst aus der Immunologie und wir haben uns schon vor Jahren damit beschäftigt, dass Lungenkrebs offensichtlich die Fähigkeit hat, dass Immunsystem lahmzulegen. Dies geschieht einerseits durch die Aussendung von Wachstumsfaktoren, die ganz massiv das Immunsystem blockieren, aber auch durch Moleküle, durch sog. Rezeptor-Liganden-Kombinationen. Diese vernichten die Immunzellen durch eine Art Todesmechanismus, den sog. Zelltod. Auch Immunzellen haben und brauchen natürlicherweise einen Todesrezeptor. Der Todesmechanismus wird jedoch vom Tumor in gemeiner Weise eingesetzt, sodass das Immunsystem gar keine Chance mehr hat, auf ihn zu reagieren. Jetzt gibt es Antikörper, die diese vom Tumor ausgehenden Todesmechanismen verhindern. Das Immunsystem ist diesen Attacken dadurch nicht mehr so ausgesetzt und kann dann gegen die Tumorzellen vorgehen.

Dass dieses Prinzip funktioniert, weiß man bereits von den Melanomen. Da gibt es bereits zugelassene Medikamente. Die Therapie ist nicht harmlos. Man muss den Patienten ähnlich wie nach einer allogenen Transplantation sehr genau überwachen, da das Immunsystem ordentlich in Aufruhr gebracht wird.

Es gibt darüber hinaus einen weiteren Weg, bei dem die Immunzellen nicht im Umfeld des Tumors, sondern schon in den Lymphknoten zum Einsatz gebracht werden sowie Kombinationen aus den verschiedenen Einflussmöglichkeiten, die dann wahrscheinlich noch effektiver sind. Wir stehen da erst am Anfang.

Wie lange wird es dauern, bis es Ergebnisse gibt, die Eingang in die Krebstherapie finden können?

Erste Ergebnisse gibt es schon: Sog. Phase-II-Studien mit kleinen Patientenzahlen an wenig Zentren sind bereits abgeschlossen. Nun laufen die Phase III-Studien an: Das sind die randomisierten Studien, die im positiven Fall zur Zulassung führen. Es gibt also schon erste vorläufige Hinweise auf die Wirksamkeit, aber bis man das endgültig weiß, vergehen noch zwei bis drei Jahre, schätze ich.

Herr Dr. Fischer, vielen Dank für das Gespräch!

Quelle: Befund Krebs 1/2015

In dem Video Neue Wege in der Behandlung von Lungenkrebs hält Herr Dr. Fischer einen ausführlichen Vortrag zur Immunonkologie.

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