Mit dem Begriff Diabetes bzw. Diabetes mellitus bezeichnet man eine Erkrankung des Stoffwechsels, die chronisch verläuft und deren Kennzeichen erhöhte Blutzuckerwerte sind. Diesen liegt eine Störung oder ein Wegfall der Insulinproduktion oder eine Insulinresistenz zugrunde.
Rita Bugl, Diätologin und Leiterin des Arbeitskreis Ernährung und Diabetes beim Verband der Diätologen Österreichs, erklärt im Interview, wie Diabetiker sich richtig ernähren können und gibt wertvolle Tipps.
Lebensstilmaßnahmen sind ein wichtiger Bestandteil der Diabetestherapie und dazu gehört auch eine gesunde Ernährung. Diese kann bei Diabetikern zu einer wesentlichen Verbesserung der Blutzuckereinstellung führen. Ein großer Teil der Diabetiker leidet an Übergewicht. Hier gilt es, durch Anpassung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten ein Normalgewicht anzustreben.
Eine richtige Ernährung für alle Diabetiker gibt es nicht. Wichtig ist es, darüber Bescheid zu wissen, welche Lebensmittel und Getränke eine Auswirkung auf den Blutzucker haben und welche nicht. Es sollte vermehrt auf die richtige Auswahl und Menge der Kohlenhydrate in der Ernährung geachtet werden. Komplexe Kohlenhydrate, also Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen, sind günstiger für Sättigung und Blutzucker als rasch resorbierbare Kohlenhydrate (Weißmehlprodukte, Haushaltszucker, zuckerhaltige Getränke). Zur Gruppe der günstigen Kohlenhydratlieferanten zählen Vollkornprodukte aus ganzem Korn, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse. Dennoch sollte auch bei den günstigen Kohlenhydraten auf die Menge geachtet werden. Bei der Fettzufuhr sollte auf eine gute Qualität geachtet werden, mehr pflanzliche und weniger tierische und versteckte Fette (wie z. B. aus Wurstwaren oder Fast Food). Günstige Fette sind vor allem in Pflanzenölen, Nüssen, Kernen, Samen und z. B. Avocados enthalten.
Es gibt nur wenige Ernährungsregeln, die für alle Diabetiker gelten. Um hier auf dem neuesten Stand zu sein, bietet es sich an, z. B. Gruppenschulungen für Diabetiker zu besuchen. In den neuesten Leitlinien der Gesellschaften empfiehlt man eine individuelle Anpassung der Empfehlungen an die jeweilige Person. Am besten passiert so etwas im Rahmen einer Ernährungsberatung durch einen Diätologen. Abhängig von Therapie, Alter, körperlicher Aktivität und vielen anderen Faktoren müssen weitere Empfehlungen individuell ausgesprochen werden. Ein Typ-1-Diabetiker mit einer funktionellen Insulintherapie muss z. B. lernen, Kohlenhydratportionen zu berechnen und zu schätzen, dafür sind Schulungen notwendig. Diese unterscheiden sich grundlegend von jenen, die z. B. für Typ-2-Diabetiker unter einer OAD-Therapie abgehalten werden.
Es ist für jeden Diabetiker ratsam, auf zuckerhaltige Getränke zu verzichten. Ausnahmen sollten hier nur bei Hypoglykämie oder z. B. sportlicher Betätigung gemacht werden. Getränke, die viel Fruchtzucker enthalten, oder denen Fruchtzucker zugesetzt ist (z. B. Säfte oder Mineralwasser mit Geschmack) sind ungünstig. Diese können zur Entstehung einer Fettlebererkrankung beitragen. Unbedingt einbauen sollten Diabetiker jene Lebensmittel und Getränke, die auch gesunde Menschen auf ihren Speiseplan setzen sollten. Dazu gehören Kohlenhydrate in Form von Vollkornprodukten, naturbelassene Milchprodukte sowie Gemüse und Salat, am besten in roher Form. Im Beratungsalltag bemerke ich, dass leider viel zu selten Hülsenfrüchte konsumiert werden. Diese gehören auch zu den günstigen Kohlenhydratlieferanten, da sie reich an Ballaststoffen sind. Ich würde also raten, mindesten einmal pro Woche ein Gericht aus Hülsenfrüchten einzubauen.
In meiner täglichen Berufspraxis sehe ich, dass Diabetes ein sehr medienpräsentes Thema geworden ist. Die meisten meiner Patienten sind bereits gut aufgeklärt oder haben sich schon vorinformiert. Die häufigsten Fehler passieren leider durch Unwissenheit über Inhaltsstoffe von Lebensmitteln und Getränken. Häufig werden Getränke, die vermeintlich als zuckerarm oder zuckerreduziert gekennzeichnet sind, guten Gewissens getrunken. Meistens sind diese jedoch nicht zuckerfrei und eigentlich ungeeignet. Ein weiterer Irrglaube ist es, mindestens fünf bis sechs kleine Mahlzeiten täglich essen zu müssen. Für übergewichtige Diabetiker ist es sinnvoll, nur drei Mahlzeiten täglich zu essen und dem Körper Zeit zu geben, die Mahlzeiten zu verwerten. Nur dann ist er gezwungen auch auf Fettreserven zurückzugreifen. Die individuelle Mahlzeitenverteilung sollte ebenfalls in einem diätologischen Gespräch vereinbart werden, da es hier je nach Therapieform Unterschiede gibt.
Wer auf eine bewusste und gesunde Ernährung achtet, wird mehrere positive Effekte bemerken. Zum einen kann man durch richtige Ernährung Übergewicht reduzieren. Ein Normalgewicht führt zu besserer Beweglichkeit und Lebensqualität, sportliche Betätigung fällt einem dadurch leichter. Eine ausgewogene Ernährung wirkt sich außerdem positiv auf die Blutwerte aus. Cholesterin-, Triglyzerid-, Harnsäurewerte und HbA1c können durch eine Ernährungsumstellung sinken oder sich normalisieren. Eine richtige Mahlzeitenzusammenstellung führt außerdem dazu, dass der Blutzucker nach der Mahlzeit nicht so stark ansteigt und es über den Tagesverlauf zu weniger Blutzuckerschwankungen kommt.
Neben einer Gewichtszunahme kommt es bei falscher Ernährung auf längere Sicht zu einer Verschlechterung der Blutwerte. Dadurch steigt das Risiko für Spätfolgen und u. a. kardiovaskuläre Erkrankungen. Eine falsche Ernährung wirkt sich auch negativ auf Wohlbefinden, Verdauung und Energielevel aus. Behandelt werden die negativen Folgen oft medikamentös durch einen Arzt, zusätzlich ist auch eine Ernährungsumstellung sinnvoll. Auch bei bereits bestehenden Folgeerkrankungen kann es durch einen gesunden Lebensstil zur Verbesserung oder zumindest zu keinem Fortschreiten der Folgen kommen.
Ich rate niemandem zu speziellen Fastenkuren oder Crashdiäten. Diese haben meist einen Jo-Jo Effekt und bringen daher nur kurzfristig Erfolge. Z. B. kann gänzliches Verzichten auf Kohlenhydrate bei insulinpflichtigen Diabetikern zu schweren Hypoglykämien führen. Sollte jemand eine gewisse Ernährungsform ins Auge gefasst haben, rate ich immer, das Vorhaben zuerst mit dem Diätologen bzw. Arzt abzusprechen. Studien haben außerdem gezeigt, dass die in Apotheken erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel keinen Effekt haben. Daher werden Sie von mir auch nicht empfohlen.
Bahnbrechende neue Erkenntnisse gibt es nicht. Es scheint sich jedoch in Zukunft etwas bei den Empfehlungen zur täglichen Fett und Kohlenhydrataufnahme zu ändern. Während man früher eine kohlenhydratreiche, sehr fettarme Ernährung empfohlen hat, geht es heute eher in die Richtung, die Kohlenhydratzufuhr etwas zu reduzieren und beim Fett mehr auf die Qualität zu achten. Eine mediterrane Ernährung, reich an pflanzlichen Fetten und Fisch, dürfte positive Effekte haben. Spezielle Lebensmittel für Diabetiker, sog. Diabetikerprodukte werden gar nicht mehr empfohlen. Der Trend geht zu naturbelassenen Lebensmitteln und weg von verarbeiteten Produkten und Fertiggerichten.
Eine individuelle Ernährungsberatung macht immer Sinn. Ich empfehle jedem meiner Patienten, einmal für mindestens eine Woche ein Ernährungsprotokoll zu führen und damit zur Diätologin zu kommen. Das erleichtert die Erhebung des aktuellen Ernährungsverhaltens und hilft, das eigene Essverhalten zu reflektieren. Oft reicht es schon, sich bewusst zu machen was und wie viel man isst. So erkennt man vielleicht von selbst, wo die Schwierigkeiten liegen. Wer sich einmal etwas gönnen möchte, sollte zu dem greifen, worauf er gerade Lust hat. Denn wie bei so vielen Dingen macht die Dosis das Gift.
Quelle: Befund Diabetes Österreich 2/2016