Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
Wissenschaftliche Informationen patientengerecht aufbereiten – das gelingt uns dank des wissenschaftlichen Beirats, der der Redaktion für die medizinischen Texte mit seinem Fachwissen beratend zur Seite steht. Mit unseren Experteninterviews geben wir Ihnen die Gelegenheit, diese Experten kennen zu lernen. Dr. med. Herwart Müller, ist Chefarzt der Abteilung Allgemeinchirurgie in Wertheim.
Dr. Müller: Seit etwa 25 Jahren beschäftige ich mich mit den Problemen der Onkologie. In dieser Zeit hat sich ein großer und tief greifender Wandel vollzogen. Dass ich mich bereits frühzeitig für dieses spezielle Fachgebiet entschieden habe, liegt wohl vornehmlich an zwei verschiedenen Faktoren: Zum einen konnte ich feststellen, dass ich auch der psychischen Belastung, die mit diesem Arbeitsgebiet verbunden ist, gewachsen bin und es mir durchaus Freude bereitet, Menschen auch in schwierigen Situationen zu begleiten. Zum anderen ergeben sich bei diesen Tumorerkrankungen immer wieder neue und sehr individuelle Situationen, die den Therapeuten herausfordern, für den Patienten nach individuellen und bisweilen einzigartigen Problemlösungswegen zu suchen. Dies stellt für mich eine Herausforderung dar, der ich mich gerne stellen möchte.
Dr. Müller: Eine Tumorerkrankung beeinflusst den Menschen als Ganzes in seiner gesamten Komplexität und nicht nur das Organsystem, in dem der Tumor gewachsen ist. Aufgrund dieser mannigfachen Wechselwirkungen zwischen Tumor und Mensch muss die Therapie in der Onkologie immer auf verschiedenste Bereiche Rücksicht nehmen und diese mit ins Kalkül einbeziehen. Nur so wird man zu einer ganzheitlichen Betrachtung und zu einer ganzheitlichen Therapie im eigentlichen Sinne kommen. Vor diesem Hintergrund versuche ich immer, mit dem Patienten eine gemeinsame Basis zu finden. Diese Basis sollte auf einer möglichst realistischen Einschätzung der aktuellen Situation beruhen, aber die Hoffnungen und Ziele des Patienten mit einbeziehen. Nur so ist es möglich, den Patienten durch die Belastungen einer Behandlung – sei es von Seiten der Chemotherapie, sei es von Seiten der Chirurgie – zu führen.
Dr. Müller: Ich glaube nicht, dass es möglich ist, diese Frage so pauschal zu beantworten. Da jeder Mensch ein einzigartiges Individuum ist und da Tumorerkrankungen mit einer großen Bandbreite an Variationsmöglichkeiten auftreten können, erscheint es mir am sinnvollsten, für jeden Patienten aus den vielen verschiedenen Therapieoptionen diejenige herauszusuchen, die für den Patienten in der jeweiligen Situation am besten geeignet ist. Meines Erachtens sollte man insbesondere auch versuchen, den Patienten in die Behandlung aktiv mit einzubeziehen. Hierzu eignen sich besonders die Möglichkeiten der biologischen Supportivtherapie. Für mich als chirurgisch tätigen Arzt stellt es eine besondere Herausforderung dar, Tumore, die zunächst als nicht operabel eingestuft werden, durch Induktivtherapie so weit schrumpfen zu lassen, dass sie später operativ entfernt werden können. Eine solche Induktionstherapie stellt aber für Patient und Therapeut immer eine lange und teils schwerwiegende Belastung dar.
Dr. Müller: Einer der wesentlichsten Irrtümer im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen ist das Nicht-darüber-redenkönnen. In unserer Gesellschaft wird zwar in diesem Zusammenhang vieles durch die Medien angesprochen, aber in den wenigsten Fällen werden den Menschen dadurch ihre Ängste genommen. Aufgrund dieser Ängste werden Beschwerden lange Zeit mit sich herumgetragen, was dazu führt, dass man zu lange wartet, bevor man zum Arzt geht. Auch erscheint es mir wesentlich, dass Patienten über ihre Ängste reden und sie diese den Behandelnden gegenüber äußern. Nur so wird man ein offenes Vertrauensverhältnis zu seinem behandelnden Arzt aufbauen können.
Dr. Müller: Sehr Erfolg versprechend erscheinen die neuen Therapieoptionen der so genannten Targeted Therapy; gemeint sind hier die aus der Molekularbiologie stammenden Behandlungsstrategien, die gegen verschiedene, molekulare Prozesse gerichtet sind, die eine Tumorzelle von einer normalen Zelle unterscheidet. Diese Behandlungsformen sind mit relativ wenigen Nebenwirkungen verbunden, erhöhen die Effektivität unserer Behandlungsmaßnahmen und erweitern insbesondere auch gleichzeitig wesentlich unser Verständnis der Tumorerkrankungen. Der „mündige Patient“ möchte heute stärker als früher üblich selbst mitentscheiden, welcher Therapie er sich unterzieht.
Dr. Müller: Ich halte es für ausgesprochen wichtig, das Wissen der Mediziner in die Sprache des Patienten zu übersetzen. Nur so wird das Verständnis der Bevölkerung und der Betroffenen für die verschiedenen Behandlungsformen wachsen und gleichzeitig ein Teil der Ängste abgebaut werden können. Hier spielen Patientenmagazine eine ganz wesentliche Rolle.
Dr. Müller: Befund Krebs entspricht ziemlich genau meinen Vorstellungen, die ich von einem Patientenmagazin habe. Dieses Magazin bringt auf einfache und verständliche Art und Weise wesentliche Informationen an die Betroffenen heran und deckt somit den Informationsbedarf der Patienten.
Herr Dr. Müller, wir danken Ihnen sehr herzlich für Ihre Ausführungen.
Quelle: Befund Krebs 2/2006