Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
Die Diagnose Krebs ist für alle Betroffenen ein Schock, gefolgt von einer meist anstrengenden und kräftezehrenden Therapie, die das Leben auf den Kopf stellt. War die Therapie erfolgreich, ist der Krebs verschwunden, vielleicht sogar für immer besiegt. Doch was kommt dann?
Die Rückkehr in den Alltag ist für die meisten Patienten nicht einfach – und das hat ganz unterschiedliche Gründe. Die Therapie hat dem Körper zugesetzt, familiäre und soziale Rollen haben sich verändert, die Rückkehr in den Beruf gestaltet sich schwierig, die Angst vor einem Rezidiv ist eine fortwährende psychische Belastung.
Alle diese Probleme haben auch eine direkte Auswirkung auf die Lebensqualität der Patienten. So arbeiten nur rund 50 % von ihnen in gleichem Umfang wie vor der Erkrankung, 30 % werden infolge ihrer Erkrankung vom Arbeitgeber gekündigt. „Als Folge droht vielen Patienten und deren Familien ein finanzieller und sozialer Abstieg“, bemerkt Dr. Ulf Seifart, Marburg. Ausgelöst wird dies vor allem durch Kündigungen, zeitliche Reduzierung der Arbeitszeit oder Beantragung einer Erwerbsminderungsrente.
Dr. Ulf Seifart hat sich gemeinsam mit Kollegen intensiver mit dem Thema „Armut durch Krebs“ im Auftrag der Hessischen Krebsgesellschaft beschäftigt. Aus dem Abstract zu diesem Thema geht auch hervor, dass der finanzielle und soziale Abstieg nicht nur die Reduzierung der Lebensqualität bedeutet, sondern auch mit der Prognose der Tumorerkrankung in Verbindung stehen könnte. Studien weisen darauf hin, dass die finanzielle Belastung für Patientinnen ein größeres Problem ist als die körperlichen oder psychischen Nebenwirkungen einer Therapie und dass finanziell schlechter gestellte Betroffene eine höhere Sterblichkeitsrate aufweisen.
Auch aufgrund dieser bereits vorhandenen Erkenntnisse gibt es in Deutschland Bemühungen, die finanziellen Sorgen der Betroffenen nach Möglichkeit zu lindern. „Es ist zunächst wichtig, die Ärzte, aber auch die Patienten selbst für dieses Problem zu sensibilisieren“, betont Dr. Ulf Seifart. Denn sind Probleme, die finanzielle Notlagen hervorrufen könnten, identifiziert, können Patientinnen frühzeitig Hilfen angeboten werden.
Bei der Suche nach Unterstützung können etwa Krebsberatungsstellen, Sozialdienste, der Sozialverband VdK oder Selbsthilfegruppen behilflich sein. Auch die Deutsche Krebshilfe und die Frauenselbsthilfe nach Krebs weisen immer wieder darauf hin, dass die finanziellen Folgen für Betroffene erheblich sind und fordern, dass in allen onkologischen Zentren und bei niedergelassenen Onkologen eine unabhängige sozialmedizinische Beratung von Menschen mit einer Krebserkrankung Pflicht wird.
Neben den finanziellen und sozialen Problemen stehen für viele auch psychische Belastungen und die Angst vor einer Rückkehr der Erkrankung im Vordergrund. „Moderne Krebstherapien verlaufen i. d. R. nach sehr konkreten Schemata, die den Alltag über zumeist lange Zeiträume klar strukturieren. Und eben diese Struktur und die konkreten Maßnahmen – Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie – geben trotz aller daraus entstehenden Belastungen Sicherheit“, erklärt Psychoonkologe Manfred Gaspar, Kiel. Und obwohl Patientinnen das Ende der Therapie herbeisehnen, entstehe nicht selten kurz danach ein psychischer Tiefpunkt. „Eben gerade, weil jetzt alle Therapien beendet sind und sich dadurch Gefühle der Unsicherheit verstärken können“, berichtet er von seinen Erfahrungen. In dieser Phase gehe es vor allem darum, die eigene Selbstsicherheit wieder zu erlangen und zu lernen, mit einer ungewissen Zukunft zu leben.
„Nach Ende der Therapie sollten die Patienten versuchen herauszufinden, was für sie wichtig ist, was sie wollen und vielleicht auch, was sie nicht mehr wollen“, betont Manfred Gaspar und macht den Betroffenen Mut: „Eine Krankheit, die als Krise erlebt wird, birgt auch die Chance zu einem Neuanfang in sich.“ Wer in dieser schweren Zeit Unterstützung benötigt, kann sich beispielsweise an Selbsthilfegruppen wenden oder psychoonkologische Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen.
Wichtig ist, die normalen Reaktionen auf eine Ausnahmesituation, wie eine Krebserkrankung, von anderen psychischen Reaktionen, wie etwa einer Depression, zu unterscheiden. Im Einzelfall kann es deshalb hilfreich sein, hierfür professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. So können Psychoonkologen etwa auch dabei helfen, die eigenen Ressourcen, also Kraftquellen, zu erkennen und dann auch zu aktivieren. Eine positive Auswirkung auf die Lebensqualität haben darüber hinaus positive Lebenseinstellungen, Geduld, Mut zur Veränderung oder emotionale Entlastung. Negativ wirken sich dagegen u. a. Selbstbeschuldigungen oder auch das Vermeiden sozialer Kontakte aus. Dies ist durch psychoonkologische Forschungsergebnisse belegt.
Gerade im familiären und partnerschaftlichen Umfeld ist es wichtig, Wünsche, Ängste und Befürchtungen gemeinsam zu besprechen. „Oft fühlen Patienten sich trotz vielfacher sozialer Unterstützung einsam, da sie sich nicht richtig verstanden fühlen. Hilfreich ist es dann, wenn Betroffene offen über ihre Gefühle, Gedanken, Sorgen und Ängste sprechen können und vor allem, wenn sie sich darin jeweils ernst genommen fühlen“, betont Manfred Gaspar. Denn wie kaum eine andere Krankheit betreffe Krebs nicht nur die Erkrankten, sondern i. d. R. das ganze soziale Umfeld. Die daraus entstandenen Probleme, wie etwa eine Rollenveränderung, können gelöst werden, indem die Patienten selbst äußern, welche Unterstützung sie wünschen und was ihnen bei der Rückkehr in den Alltag helfen würde.
Doch nicht nur die Beziehungen zu Familienmitgliedern, sondern auch zu Freunden können sich durch die Erkrankung verändern. „Manche Freunde ziehen sich zurück. Dafür gibt es aber auch andere, die den Betroffenen viel mehr Verständnis entgegenbringen, als sie vermutet hätten“, berichtet Psychoonkologin Gudrun Bruns, Krebsberatungsstelle Münster, von ihren Erfahrungen. Sie rät: „Patienten sollten sich mit Menschen umgeben, die ihnen guttun.“ Dies gilt auch für die Gestaltung von Alltag und Freizeit. Gerade eine bewusste Freizeitgestaltung kann die Lebensqualität erhöhen. Wichtig ist dabei, die Aufmerksamkeit nicht auf die Einschränkungen zu richten, sondern auf die Möglichkeiten und die Tagesziele dann entsprechend anzupassen.
Um den eigenen Körper wieder bewusst wahrnehmen und sich darin wohlfühlen zu können, kann z. B. eine gesunde Ernährung, aber vor allem auch regelmäßige Bewegung beitragen. „Inzwischen gibt es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass es durch regelmäßiges Sporttreiben (insbesondere durch Ausdauersport) nicht nur einen „gefühlten“ positiven Effekt, sondern auch objektiv messbare positive Veränderungen gibt“, bemerkt Dr. Anita Illing, Stuttgart. Sport verbessere die Überlebenszeit, was für Brustkrebs bereits wissenschaftlich bewiesen ist, verbessere die körperliche Belastbarkeit insgesamt, vermindere therapiebedingte Nebenwirkungen und steigere i. d. R. auch das Selbstwertgefühl.
So wird die Lebensqualität verbessert, auch, indem sich die Stimmung bessert oder die Symptome des Fatigue-Syndroms abnehmen. Dennoch ist klar: „Sport ist keine Wunderwaffe“, betont die Medizinerin. Und rät den Patienten, es mit dem Sporttreiben nicht zu übertreiben, langsam zu beginnen und keinen falschen Ehrgeiz zu entwickeln. Grundsätzlich ist es möglich, Sportarten, die bereits vor der Erkrankung betrieben wurden, auch während oder nach der Therapie wieder aufzunehmen. Am besten erforscht ist bislang der positive Effekt des Ausdauertrainings, wie Walken, Joggen, Radfahren oder Schwimmen. Als angestrebtes Ziel empfiehlt sich hier eine Intensität von drei bis vier Einheiten in der Woche, die rund 30 Minuten dauern. Vorab sollten Patienten mit ihrem Arzt abklären, ob dem Sporttreiben etwas entgegensteht. So ist es etwa bei einer schweren Anämie oder beim Vorliegen von Nervenstörungen nach einer Chemotherapie Vorsicht geboten.
Wer Hilfe auf der Suche nach dem richtigen Sportangebot braucht, kann sich an Krankenkassen, Krankenhäuser, Krebsverbände oder Selbsthilfegruppen wenden. Weiterhelfen können auch die Landessportbünde, wie etwa der Württembergische Landessportbund, die Begründer der Bewegungsangebote für Krebspatienten sind.
Quelle: Leben? Leben! 3/2017