Unter dem Begriff Brustkrebs, auch Mammakarzinom (lat. Mamma = Brust) genannt, versteht man bösartige Tumoren (Geschwulsterkrankungen) der Brustdrüse.
Eine individuelle Therapie für jede Patientin – das wünschen sich Mediziner und Betroffene gleichermaßen. Auch die sog. molekularbiologischen Therapien werden eingesetzt, um die Tumoren möglichst gezielt zu bekämpfen, ihre Schwächen auszunutzen. Dr. Eva Krieghoff-Henning vom Krebsinformationsdienst erläutert Wirkungsweise und Einsatzgebiete.
Eine geläufige Bezeichnung für die molekularbiologische Krebstherapie ist „Zielgerichtete Therapie“, englisch targeted therapy. Darunter ist eine Krebsbehandlung zu verstehen, die ganz gezielt bestimmte Eigenschaften der Krebszellen angreift, die für die Tumorentstehung und Weiterentwicklung des Tumors verantwortlich sind. Diese Eigenschaften weisen gesunde Zellen normalerweise nicht oder nur in geringem Maße auf. I. d. R. sind zielgerichtete Krebsmedikamente Wirkstoffe, die ein oder mehrere tumortypische Eiweiße binden und in ihrer Funktion beeinflussen. Als Wirkstoffe können beispielsweise monoklonale Antikörper, aber auch sog. „small molecules“ (kleine organische Verbindungen, die „typischen“ Arzneimittel) eingesetzt werden. Bei molekularbiologischen Krebstherapien wird also Wissen um die spezifischen biologischen Eigenschaften der Tumorzellen genutzt.
Molekularbiologische Therapien können zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten bei der Behandlung von Krebspatientinnen eingesetzt werden. Erforscht werden sie (wie alle neuen Therapien) i. d. R. zuerst zur Therapie von Krebspatientinnen, die sich im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium befinden. Viele zielgerichtete Therapien werden aber inzwischen bereits frühzeitig im Verlauf der Behandlung eingesetzt. Ein Beispiel ist der Antikörper Trastuzumab (Herceptin). Er wird bereits kurz nach der Operation zur Behandlung von Brustkrebspatientinnen eingesetzt, deren Tumor das Eiweiß HER2 vermehrt herstellt. Häufig werden zielgerichtete Therapien auch in Kombination mit einer anderen Therapieform eingesetzt, insbesondere in Verbindung mit einer Chemotherapie.
Molekularbiologische Wirkstoffe werden „erst“ seit einigen Jahrzehnten in der Krebstherapie eingesetzt. Im Vergleich mit den anderen „traditionellen“ Therapieformen wie Operation, Strahlentherapie oder Chemotherapie ist die molekularbiologische Therapie damit noch eine vergleichsweise junge Therapieform.
Molekularbiologische Therapien greifen gezielt in Signalwege bzw. Prozesse in den Tumorzellen ein, die das Überleben und die Vermehrung sowie die Verbreitung von Tumorzellen fördern. Damit ein Tumor entsteht, müssen i. d. R. verschiedene Arten von Veränderungen zusammentreffen: Wachstumsfördernde Signalwege werden angeschaltet, während Kontrollmechanismen verloren gehen. Der Tumor benötigt zudem einen Anschluss an die Nährstoff-Versorgung, wenn er über eine bestimmte Größe hinaus wachsen soll. Dazu beeinflusst er auch die Blutgefäße in seiner Umgebung, sodass sie in den Tumor einwachsen.
Molekulare Krebstherapien greifen in die veränderten Signalwege der Tumorzellen (oder der sie umgebenden Zellen) ein. Sie blockieren beispielsweise Wachstumssignale, die von überaktiven Wachstumsfaktor-Rezeptoren („Empfängern“) auf der Zelloberfläche ausgehen, oder fangen die jeweiligen Wachstumsfaktoren ab. Zielgerichtete Therapien können auch Enzyme und andere Eiweiße in der Zelle hemmen, die die Tumorzellen trotz Schädigung überleben lassen. Eine Sonderform der zielgerichteten Therapie stellen Wirkstoffe dar, die Signalwege in der Tumorzelle unterbrechen, die nicht bösartig verändert sind, von denen die Tumorzelle aber abhängig ist. Ein Beispiel für diese Wirkstoffe sind die sog. PARP-Hemmer, die zur Therapie von Patientinnen mit BRCA-Genmutationen erforscht werden. Sie beeinträchtigen die Fähigkeit der Krebszellen, Schäden an der Erbsubstanz zu reparieren.
Insgesamt geht man davon aus, dass die molekularbiologische Therapie weniger Nebenwirkungen als eine Chemo- oder Strahlentherapie hat. Im Idealfall kann eine molekularbiologische Therapie ausschließlich die Tumorzellen bekämpfen und das gesunde Gewebe schonen. Chemotherapie und Bestrahlung nutzen dagegen Eigenschaften der Tumorzellen aus, die auch einige gesunde Zellen aufweisen, etwa ein schnelles Wachstum bzw. eine schnelle Zellteilung. Die typischen Nebenwirkungen einer Chemotherapie wie Übelkeit, Erbrechen oder Haarausfall treten deshalb unter einer molekularbiologischen Therapie eher selten auf.
Gegenüber der Strahlentherapie oder einer Operation hat die zielgerichtete Therapie außerdem den Vorteil, dass sie im ganzen Körper (systemisch) wirkt. Sie kann also auch kleinste Krebsherde bekämpfen, die der Ursprungstumor bereits in andere Organe gestreut hat. Diesen Vorteil teilt sie mit der Chemotherapie.
Wie bereits erwähnt gehen Experten davon aus, dass molekularbiologische Therapien insgesamt verträglicher sind als eine Chemotherapie. D. h. aber leider nicht, dass die derzeit etablierten molekularbiologischen Therapien gar keine Nebenwirkungen haben. Nebenwirkungen entstehen insbesondere dann, wenn das „Ziel“ der jeweiligen Therapie, beispielsweise ein bestimmter Rezeptor, auch auf gesunden Zellen vorkommt, wenn auch möglicherweise in geringerem Ausmaß. Bekannt sind u. a. (z. T. auch schwere) Hautausschläge, die unter einer Therapie mit EGFR-Hemmern häufig auftreten. Ein weiteres Beispiel sind Herzprobleme unter einer Therapie mit dem Antikörper Trastuzumab.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Krebsmedikamenten aus dem Bereich der molekularbiologischen Therapie. In klinischen Studien werden noch sehr viele neue Ansätze aus diesem Bereich erforscht. Zur Behandlung von Patientinnen mit Brustkrebs in verschiedenen Stadien werden beispielsweise die Antikörper Trastuzumab und Pertuzumab, der Tyrosinkinasehemmer Lapatinib oder der mTOR-Hemmer Everolimus eingesetzt. Zählt man antihormonelle Therapien ebenfalls als molekularbiologische Therapien, gibt es weitere Medikamente aus dieser Gruppe (Tamoxifen, Aromatasehemmer, Fulvestrant) zur Behandlung von Brustkrebspatientinnen. Einen Grenzfall stellen die sog. Immun-Checkpoint-Hemmer wie Ipilimumab, Nivolumab oder Pembrolizumab dar. Sie sind auch monoklonale Antikörper, die gegen genau definierte Zielstrukturen gerichtet sind. Sie wirken aber nicht auf wachstumsfördernde Signalwege in Tumorzellen, sondern sollen das Immunsystem wieder in die Lage versetzen, die Tumorzellen anzugreifen. Daher werden sie von vielen Experten zu den Immuntherapien gezählt, nicht zu den molekularbiologischen Therapeutika im engeren Sinne. Sie werden zzt. auch zur Behandlung von Patientinnen mit Brustkrebs erforscht, insbesondere mit triple-negativem Brustkrebs.
Es gibt bisher leider auch noch Krebsarten, zu deren Behandlung keine ausreichend wirksame molekularbiologische Therapie gefunden werden konnte. Dazu gehören beispielsweise auch Unterformen von Brustkrebs, deren Tumorzellen keine Hormonrezeptoren und keine großen Mengen von HER2 aufweisen (triple-negativer Brustkrebs). Auch zur Therapie von Patientinnen mit Eierstockkrebs ohne erblichen Hintergrund (BRCA-Mutation) gibt es bisher keine molekularbiologische Therapie, von der die Patientinnen profitieren. Eine große Herausforderung für die Forscher ist es daher, auch für solche Krebserkrankungen wirksame Medikamente zu entwickeln.
Ein großes Problem der molekularbiologischen Therapie ist außerdem bisher, dass die Tumoren zwar häufig zu Beginn gut ansprechen, aber später in vielen Fällen resistent werden und dann wieder wachsen. Man forscht deshalb intensiv daran, zielgerichtete Medikamente zu kombinieren. Die Hoffnung ist, dass keine der Tumorzellen gegen alle Inhaltsstoffe der Kombinationstherapie unempfindlich ist, sodass der Tumor wirklich vollständig eliminiert werden kann.
Die Zukunftsvision, die letztlich auf der zielgerichteten Therapie beruht, ist die sog. „personalisierte“ oder „individualisierte“ Therapie. Man möchte möglichst jeder Patientin eine wirksame, zielgerichtete Therapie anbieten können, auch wenn es für ihre Krebserkrankung bisher keine etablierte zielgerichtete Therapie gibt. Dazu wird im Rahmen großer Forschungsprojekte beispielsweise das Erbgut von Tumoren verschiedener Krebserkrankungen untersucht. Findet man eine Zielstruktur, für die es bereits einen molekularbiologischen Wirkstoff gibt, kann sie experimentell zur Behandlung der jeweiligen Patientin eingesetzt werden. Es ist aber noch viel Forschung nötig, um zu verstehen, wie einzelne Signalwege in verschiedenen Krebszellen zusammenspielen und welche Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen in einer bestimmten Situation am Erfolg versprechendsten sind.
Quelle: Leben? Leben! 4/2016