Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
Als Nana Stäcker an Knochenkrebs erkrankte, war sie gerade 20 Jahre alt. Nach der Diagnose folgten Chemotherapie und Bestrahlung, um das Ewing-Sarkom so gut wie möglich zu bekämpfen – mit all den damit verbundenen Folgen. Der jungen Frau fielen die Haare aus, ebenso Augenbrauen und Wimpern, ihr äußeres Erscheinungsbild veränderte sich stark.
In dieser schweren Zeit fand Nana einen ganz besonderen Weg, mit ihrer Erkrankung umzugehen: Sie begann, zunächst mit ihrer Mutter Barbara und später mit Profifotografen Bilder zu machen. So sind im Laufe der Zeit zahlreiche ganz unterschiedliche Fotos entstanden: nachdenkliche und traurige, lebensbejahende und mutmachende. Nana mit schwarzer Perücke, Nana mit kurzen Haaren im Maisfeld, Nana mit Glatze und knallrot geschminkten Lippen. Doch für Nana ging es dabei nicht immer nur um ihr eigenes Wohlbefinden, sie wollte ihre positiven Erfahrungen, die sie durch das Schminken und Fotografieren erlebte, an andere weitergeben. Deshalb entwickelte sie die Idee, einen Verein zu gründen, der auch anderen Krebskranken diese Erfahrung zugänglich macht.
Die Gründung des Vereins durfte Nana leider nicht mehr erleben. Sie verstarb mit 21 Jahren an den Folgen ihrer Krebserkrankung. Nanas Mutter, Barbara Stäcker, fand schnell genügend Mitstreiter, um die Idee Wirklichkeit werden zu lassen, und so wurde Nana – Recover your smile geboren. Der gemeinnützige Verein wendet sich an Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Mit kostenfreien Schmink- und Stylingkursen sowie Fotoshootings möchten der Verein helfen, dass durch den chemotherapie-bedingten Haarverlust oft verloren gegangene Selbstbewusstsein zu stärken und so die Freude am Aussehen und an der Schönheit zurückzugewinnen. Auch Nanas Mutter erinnert sich: „Nanas Blickwinkel auf sich und die Krankheit hat sich dadurch extrem verändert und sie unglaublich stark gemacht. Genau das wünschen wir unseren Teilnehmern auch.“
Deshalb wendet sich der Verein vor allem an Betroffene, die gerade mitten in einer Therapie stecken oder diese kürzlich abgeschlossen haben. „Wir möchten gerade diesen Menschen in einer besonders schweren Lebensphase die Möglichkeit geben, sich anders zu erleben. Denn die Veränderungen des Körperbildes erleben viele als sehr belastend“, bemerkt Vorstandsmitglied Antje Müller-Diestel.
Aus diesem Grund haben seit rund fünf Jahren an Krebs erkrankte Menschen die Chance, an den Workshops von Nana – Recover your smile teilzunehmen. In einer kleinen Gruppe von sechs Teilnehmern werden die Frauen – und manchmal auch Männer – von professionellen Make-up-Artists geschminkt und bekommen auch praktische Schminktipps, wie sie etwa ihren Teint etwas auffrischen können. Außerdem dürfen sie sich für die anschließenden Fotos aus einem großen Fundus Kleider und Accessoires aussuchen, etwa eine Perücke, aber auch Hüte, eine Federboa und viele andere Möglichkeiten zur Verkleidung stehen zur Verfügung.
„Die Teilnehmer schlüpfen so meist in eine andere Rolle“, berichtet Antje Müller-Diestel von ihren Erfahrungen. Und all das wird fotografisch festgehalten. Sowohl die natürliche Optik als auch das veränderte Aussehen im Laufe des Tages. Doch die Teilnehmer profitieren nicht nur von der Veränderung ihres Aussehens, sondern auch vom Miteinander. Die Betroffenen können sich in einem vertraulichen Rahmen über die Krankheit und ihre Erfahrungen austauschen und sich so auch gegenseitig unterstützen.
Dass die Workshops die Teilnehmer auch nachhaltig emotional stärken, bestätigt eine Studie, die in Zusammenarbeit von Prof. Dr. Frank Wilhelm, Universität Salzburg, und Prof. Dr. Nadia Harbeck, Universität München, unter der Leitung von Psychologie-Doktorandin Anna Richard durchgeführt wurde. Im Rahmen dieser Studie wurden Frauen befragt, die an den Fotoshootings teilgenommen hatten. Anna Richard konnte belegen, dass sich nicht nur die Teilnahme sondern auch der Erhalt der professionell bearbeiteten Fotos positiv auf die Betroffenen auswirkt, was bis zu zwei Monate nach einer Workshop-Teilnahme zu erkennen war, wenn die Frauen die Bilder ihrem Freundeskreis zugänglich gemacht hatten. Besonders auffällig: Die teilnehmenden Brustkrebspatientinnen litten weniger unter Depressionen und berichteten vom Gefühl gesteigerter Lebensqualität.
Viele der Frauen erzählten, dass sie die erlernten Make-up-Tipps gerne im Alltag umsetzten und durch Teilen der Fotos im Freundes- und Bekanntenkreis nur positive Rückmeldungen und Anerkennung erhalten haben, die ihnen während der Erkrankung bisher oft fehlten. Somit zeigen die Nachmittage bei Nana – Recover your smile viele positive und nachhaltige Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und das Selbstbewusstsein.
Finanziert werden die Workshops, die für alle Teilnehmer einmalig kostenlos sind, ausschließlich über Spenden. Seit der Gründung konnten so mehr als 600 Betroffene davon profitieren. Mit den Ergebnissen gehen die meisten ganz offen um, denn viele Fotos sind auch auf der Internetseite des Vereins zu finden. Schließlich sind sie eine Erinnerung an einen besonders schönen Moment in einer besonders schweren Zeit.
Quelle: Leben? Leben! 4/2017