Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
Neben den Maßnahmen zur Bekämpfung einer Krebserkrankung hat auch die begleitende, sog. supportive Therapie einen großen Stellenwert in der Onkologie. Doch was fällt genau unter den Begriff Supportivtherapie und wie wird diese in Deutschland angewendet? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Petra Feyer, eine der beiden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin (ASORS) der Deutschen Krebsgesellschaft und Direktorin einer Klinik für Strahlentherapie, Radioonkologie und Nuklearmedizin in Berlin, gesprochen.
Supportivtherapie bedeutet begleitende, unterstützende Maßnahmen in der Onkologie. Wir streben damit an, durch begleitende Therapiemaßnahmen Nebenwirkungen der Tumortherapie und tumorbedingte Symptome zu mildern. Die Zielsetzung ist, die Lebensqualität des Patienten trotz aggressiver Therapiemaßnahmen zu erhalten oder zu verbessern, und dass der Patient möglichst sein normales Leben weiterleben kann. Dazu sind unterstützende Maßnahmen erforderlich, die vom Krankheitsbeginn über die aktive Therapiephase in die Rehabilitationsphase, und – wenn eine Heilung nicht gelingt – auch in der Palliativphase eingesetzt werden. Wir stellen uns das wie einen Regenschirm vor, der den Patienten über seinen gesamten Lebensweg von der Diagnosestellung über alle Therapiephasen schützen sollte.
Supportive Maßnahmen beinhalten eine adäquate Ernährungsberatung und bereits von der Diagnosestellung an eine psychoonkologische Betreuung, um besser mit der aktuellen Situation umgehen zu können. Während der aktiven Tumortherapie werden supportive Maßnahmen individualisiert eingesetzt und sind davon abhängig, welche Tumortherapie erfolgt, also Chemotherapie, Strahlentherapie oder ausschließlich Operation.
Die Basismaßnahmen beinhalten z. B. eine adäquate Antiemese, also vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von Übelkeit und Erbrechen. Dazu gibt es heute sehr wirksame Medikamente. Leitlinien, bei welchen Substanzen welche prophylaktischen Maßnahmen ergriffen werden sollten, sind etabliert. Weiterhin zählt dazu der Einsatz von Wachstumsfaktoren, also stimulierenden Substanzen für die Blutbildung. Inzwischen sind diese für die weißen und roten Blutkörperchen sowie die Blutplättchen einsetzbar. Darüber hinaus sind risikoadaptierte Maßnahmen wichtig, die die Entzündung der Mundschleimhaut, die entstehen kann, minimieren, inklusive zahnärztlicher Kontrollen.
Auch die Knochengesundheit stellt einen wesentlichen Aspekt supportiver Maßnahmen dar. Neue Substanzen werden gezielt zur Prophylaxe der Tumortherapie-induzierten Osteoporose und zur Reduktion von Knochenmetastasen eingesetzt. Schließlich ist der Einsatz einer adäquaten Physiotherapie ratsam. Bewegungstherapie kann ein wichtiger Part für den Gesundungsprozess und für eine bessere Toleranz der Therapien sein. Deshalb lassen wir unsere Patienten auch unter Chemo- und Strahlentherapie angepasst trainieren, da wir wissen, dass die Behandlung dann besser verträglich ist und der Patient nicht so sehr unter dem Fatigue-Syndrom, also Müdigkeit und Erschöpfung, leidet. In der Rehabilitationsphase gehören ebenfalls Ernährungsberatung, Sportübungen und psychoonkologische Betreuung dazu. Das sollte so angelegt sein, dass der Patient auch Anregungen für eine Weiterführung im normalen Alltag erhält.
Da gibt es noch sehr viel Potenzial. Untersuchungen zeigen, dass ein deutliches Missverhältnis zwischen Vorhandensein von Leitlinien und Anwendung der Leitlinien besteht, da die Bedürfnisse der Patienten oftmals unterschätzt werden. Der Patient, der nur eine geringe Zeitperiode eng an den Arzt angebunden ist, erlebt zu Hause unter Umständen Nebenwirkungen, die er seinem Arzt nicht erzählt. Bis zum nächsten Arztbesuch sind die Nebenwirkungen vergessen und die Gelegenheit wird versäumt, z. B. eine adäquate prophylaktische Antiemese einzusetzen. Hier ist noch erheblicher Handlungsbedarf, um auf die Bedürfnisse unserer Patienten entsprechend eingehen zu können.
Patienten sollten meiner Ansicht nach ein kleines Tagebuch führen, in das sie jeden Tag eintragen, wie es ihnen geht und ob sie Beschwerden hatten. Das sollten sie beim nächsten Termin mit ihrem Arzt thematisieren. Hilfreich sind z. B. auch Fragebögen, auf denen mögliche Nebenwirkungen der Chemotherapie oder Radiotherapie aufgelistet sind und die der Patient während der Wartezeit auf die Arztkonsultation ausfüllen kann. Das hilft, gleich das richtige und wichtige Thema für den Patienten anzusprechen.
Eines der aktuellen Forschungsthemen stellt die Erfassung von Langzeit- und Spätfolgen einer Tumortherapie dar. Wir haben glücklicherweise durch unsere effektiven Möglichkeiten der Therapie von Tumorerkrankungen immer mehr langzeitüberlebende Patienten, die Spätfolgen der Therapie erleben könnten. Daher ist es wichtig zu erforschen, was zu tun ist, um diese zu vermeiden. Das Leben muss auch weiter lebenswert gestaltet sein und die Patienten sollten natürlich ihre Lebensqualität behalten. Das bedeutet, wir müssen bereits in der Akutphase vorausschauend daran denken, mit welchen Folgen wir in 10 oder 15 Jahren zu rechnen haben. Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich beinhaltet die zielgerichtete Therapie, die individualisiert auf den Patienten und die Art der Tumorerkrankung abgestimmte Therapie. Wir haben die Möglichkeiten, ganz individuelle Therapiekonzepte zu entwickeln und ebenso individuell die Supportivtherapie zu gestalten. Die umfassenden Möglichkeiten der Supportivtherapie sollten noch breitere Anwendung finden, um den Leitsatz der MASCC (Multinational Association of Supportive Care in Cancer) – „Supportive care makes excellent cancer care possible“
Frau Prof. Feyer, vielen Dank für das Gespräch.
Quelle: Befund Krebs 4/2011