Krebs ist eine vielschichtige Krankheit. Man versteht darunter jede Veränderung eines Gewebes, bei der die Zellen sozusagen ihre Differenzierung verlieren und daher autonom, also selbstständig wachsen können.
Am Anfang jeder Schmerztherapie steht die genaue anamnese und Schmerzdiagnostik. Im Frühstadium verursacht eine Krebserkrankung i. d. R. keine Schmerzen. Im Verlauf der Erkrankung können tumorbedingte Schmerzen (z. B. Knochen-, Organ-, Nervenschmerzen) oder therapiebedingte Schmerzen (durch OP, Chemotherapie, Bestrahlung) auftreten.
Nozizeptor-Schmerzen reagieren gut auf nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen. Bei neuropathischen Schmerzen sind zusätzlich Koanalgetika wie trizyklische Antidepressiva oder Antiepileptika indiziert. Bei Tumorschmerzen reichen diese Medikamente jedoch meist nicht aus. Hier sollten frühzeitig Opioide eingesetzt werden.
Selbst erfahrene Schmerztherapeuten unterschätzen immer wieder die Schmerzintensität ihrer Patientinnen. Deshalb sollten die Patientinnen die Schmerzstärke in einem Schmerztagebuch dokumentieren, vor allem in der Einstellungsphase. Eine bewährte Regel empfiehlt, bei nicht ausreichender Wirkung die Opioid-Dosis alle zwei bis drei Tage um 50 % zu erhöhen. Das Therapieziel sollte Schmerzfreiheit in Ruhe und deutliche Schmerzlinderung bei körperlicher Belastung sein.
Ist der Schmerz aufgrund der erhöhten körperlichen Belastung tagsüber stärker als nachts, wird die Morgendosis des retardierten (verzögerten) Opioids 30–50 % höher als die Abenddosis angesetzt. Bei vorwiegend neuropathischen Schmerzen mit nächtlicher Schmerzverstärkung wird abends eine höhere Dosis gegeben. Mit einer solchen dem Schmerz angepassten Dosierung gelingt eine größtmögliche Schmerzlinderung auch bei Patientinnen, die eine Zusatzmedikation mit schnell freisetzenden Opioiden ablehnen, um „Schmerzmittel zu sparen“.
1. Stufe: Nichtopioidanalgetikum (z. B. Ibuprofen, Metamizol)
2. Stufe: Schwach wirksames Opioid (z. B. Dihydrocodein, Tilidin, Tramadol) und ggf. Stufe 1
3. Stufe: Wechsel auf ein stark wirksames Opioid und ggf. Stufe 1 zusätzlich Co-Analgetika (z. B. Kortisonpräparate, Antidepressiva, Antiepileptika) nutzen
Nur wenige Tumorpatientinnen haben immer gleich starke Schmerzen. Daher ist die sicherste Schmerztherapie die orale Gabe von retardierten Opioiden nach einem festen Zeitschema, ggf. ergänzt durch schnell freisetzende Tabletten oder Tropfen. Möglich sind auch transdermale (durch die Haut hindurch) Systeme oder subkutane (unter der Haut) bzw. intravenöse Injektionen/Infusionen, wobei Nachteile der transdermalen Systeme (Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS) mögliche Hautreaktionen und ein nur langsam sich aufbauender stabiler Wirkstoffpegel im Blut sind. Bei 70–80 % der Betroffenen ist eine kurz wirksame Zusatzmedikation nötig (oral, über die Mundschleimhaut verabreicht, als Nasenspray oder subkutan).
Das trifft sowohl auf Fentanyl-Matrixpflaster als auch auf Buprenorphin-Pflaster zu, wobei letztere aufgrund ihrer geringeren Wirkstärke bei Tumorschmerz nur begrenzt einsetzbar sind. Zur Behandlung von Schmerzspitzen dienen Fentanyl- oder Buprenorphin-Tabletten, die man unter der Zunge zergehen lässt. Möglicherweise entwickelt sich unter Buprenorphin-Gabe seltener eine Toleranz (Wirkungsabschwächung) als bei Morphin. Daher ist es eine gute Alternative bei mäßigen bis mittelstarken Schmerzen.
Morphin ist das älteste Opioid. Es hat den Vorteil, dass es in vielen Darreichungsformen verfügbar ist. Bei Durchbruchschmerz sind schnell freisetzende Formen sinnvoll – als Tabletten oder als Tropfen. Ist eine solche Gabe mehr als zweimal täglich erforderlich, sollte die Dosis des Retardpräparates erhöht werden. Nachteil des Morphins sind die besonders in höherer Dosis auftretenden zentralnervösen Nebenwirkungen wie Verwirrtheit, Muskelzuckungen und Schläfrigkeit. Treten solche Nebenwirkungen auf, muss die Patientin auf ein anderes Opioid umgestellt werden.
Retardiertes Hydromorphon hat von allen starken Opioiden die geringste Plasmaeiweiß-Bindung. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten werden dadurch weitgehend vermieden; der freie, wirksame Anteil bleibt konstant. Dies ist ein Vorteil bei älteren Patientinnen und bei Patientinnen, die gleichzeitig an mehreren Krankheiten leiden. Auch Patientinnen mit niedrigem Plasmaeiweiß – in fortgeschrittenem Tumorstadium häufig – vertragen Hydromorphon häufig besonders gut. Das Retardpräparat wirkt i. d. R. zwölf Stunden. Manche Patientinnen benötigen es achtstündlich. Mit zusätzlichen schnell freisetzenden Hydromorphon-Kapseln ist eine effektive Behandlung von Schmerzspitzen möglich, ohne die Substanz zu wechseln.
Einige Symptome treten am Beginn fast jeder Opioid-Therapie auf. Übelkeit, Müdigkeit und Schwindel lassen i. d. R. innerhalb von zwei bis drei Wochen nach oder verschwinden ganz; der Verstopfung muss meistens dauerhaft vorgebeugt werden.
Die Übelkeit lässt sich mit Metoclopramid-Tropfen oder Tabletten, 15–30 Minuten vor dem Opioid gegeben, meist völlig beseitigen. Alternativ können Antihistaminika (z. B. Dimenhydrinat) gegeben werden. Sie verstärken allerdings die Müdigkeit. Eine weitere Möglichkeit ist Haloperidol oder Dexamethason, ein Kortisonpräparat. Wenn diese Wirkstoffe nicht ausreichen, sind Serotoninantagonisten indiziert, z. B. Ondansetron. Hält die Übelkeit länger als drei Wochen an, sollte zusätzlich nach anderen Ursachen, körperlichen oder seelischen gesucht werden.
Die Müdigkeit verschwindet meist von selbst. Manchmal braucht die Patientin auch einfach eine Ruhephase, nachdem sie die Schmerzen so lange ausgehalten hat. Hält die Müdigkeit an, sollte z. B. an eine Blutarmut oder andere Ursachen des chronischen Müdigkeits-Syndroms gedacht werden.
Zur Prophylaxe der Verstopfung hat sich Macrogol 3350 in den letzten Jahren als sicheres und nebenwirkungsarmes Abführmittel bewährt. Nur wenige Patientinnen stört die leicht gelartige Konsistenz der Trinklösung. Sie kommen mit Natriumpicosulfat-Tropfen oder Tabletten besser zurecht. Lactulose führt durch seine Spaltung im Darm häufig zu unangenehmen Blähungen. Abführmittel werden bei laufender Opioid-Therapie von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet.
Tumorschmerzen auszuhalten, ist der falsche Weg. Es ist sehr wichtig, dass Sie mit dem Arzt Ihres Vertrauens Kontakt aufnehmen, sobald Sie Schmerzen haben. Schmerzen lähmen und entziehen dem Körper die Kraft. Eine gute Schmerztherapie gibt dem Körper die Möglichkeit, sich aktiv mit der Erkrankung auseinanderzusetzen.
Quelle: Leben? Leben! 2/2011