Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Im Rahmen unserer Interviewreihe setzen wir die Vorstellung der Mitglieder unseres wissenschaftlichen Beirats fort, die der Redaktion von Befund MS mit medizinischen Beiträgen und ihrem Fachwissen beratend zur Seite stehen. In dieser Ausgabe möchten wir Ihnen Herrn Prof. Dr. Thomas Henze, den ärztlichen Direktor des Reha-Zentrums Nittenau, vorstellen.
Herr Prof. Dr. Henze, was ist Ihnen besonders wichtig im Umgang mit Ihren Patienten?
Prof. Dr. Henze: Das genaue Zuhören und Erfragen ihrer Beschwerden, denn nicht alle Patienten berichten ja spontan über alle ihre Probleme – und natürlich das gezielte Eingehen auf diese Beschwerden. So ist es meiner Ansicht nach am leichtesten, eine Vertrauensbasis zu schaffen, die in den folgenden Jahren dann auch hält.
Patienten und ihre Angehörigen sind häufig unsicher und überfordert mit der Entscheidung, welche der möglichen Therapieoptionen die beste für sie ist. Welche Behandlungsstrategien empfehlen Sie für MS-Patienten, von welchen würden Sie eher abraten?
Prof. Dr. Henze: Grundlage jeder Behandlung sind die Empfehlungen bzw. Leitlinien, die regelmäßig vom Ärztlichen Beirat der DMSG herausgegeben werden. Dies betrifft sowohl die Therapie mit Kortison, Interferonen, Glatirameracetat oder Mitoxantron als auch die Behandlung der einzelnen Symptome. All diese Behandlungen sind ja wissenschaftlich abgesichert. Trotzdem ist es natürlich immer erforderlich, auf den Einzelnen, seinen individuellen Krankheitsverlauf und seinen Umgang mit der MS einzugehen. Kritisch und zurückhaltend bin ich immer dann, wenn neue Therapiemethoden angepriesen werden, die lediglich auf der Erfahrung einzelner Betroffener beruhen oder eben nicht wissenschaftlich abgesichert sind.
Was sind Ihrer Ansicht nach Irrtümer im Wissen um die Erkrankung Multiple Sklerose und ihre Behandlung?
Prof. Dr. Henze: Es geistern leider noch immer viele Irrtümer über die MS herum. Ein wesentlicher Irrtum ist meines Erachtens, wenn man glaubt, eine MS führe unweigerlich dazu, sein künftiges Leben in einem Rollstuhl verbringen zu müssen und auf jeden Fall von fremder Hilfe abhängig zu werden. Dies trifft ja nur für einen kleineren Teil der Betroffenen zu und auch dieser Teil kann durch eine konsequente und möglichst früh einsetzende Therapie weiter verringert werden.
Wie schätzen Sie den Einfluss psychologischer Faktoren auf die MS-Entstehung und den Krankheitsverlauf ein und auf welche Weise sollten sie bei der Therapieplanung berücksichtigt werden?
Prof. Dr. Henze: Die Psyche spielt natürlich eine große Rolle, sowohl bei der Entstehung von Schüben als auch bei der Ausprägung einzelner Symptome der MS. Umso wichtiger ist es, die Krankheit nicht zu verleugnen, sondern sich aktiv mit ihr auseinanderzusetzen. Manche Betroffenen benötigen auch Hilfe durch einen Psychotherapeuten oder einen Psychiater und einer solchen Hilfe braucht sich auch niemand zu schämen. Auf jeden Fall sollte jeder Patient darauf achten, möglichst aktiv zu sein, Hobbys zu pflegen und eben auch die schönen Seiten des Lebens wahrzunehmen.
Welches sind Ihrer Meinung nach die erfolgversprechendsten Forschungsansätze in der MS-Therapie und welche Erwartungen haben Sie bezüglich zukünftiger Möglichkeiten?
Prof. Dr. Henze: Einige neue Medikamente versprechen ja eine deutlich bessere Wirkung als dies jetzt bei den Interferonen und Glatirameracetat der Fall ist. Ein weiterer Vorteil wird wahrscheinlich sein, dass einige von ihnen nicht mehr gespritzt werden müssen, sondern als Tablette genommen werden können. Ich glaube daher sicher, dass sich die Behandlung der MS in den nächsten Jahren weiter erheblich verbessern wird. Trotzdem wird es wichtig sein, diese Medikamente nicht unkritisch einzusetzen, sondern neben ihren sicher positiven Wirkungen auch auf mögliche Nebenwirkungen zu achten.
Welche Rolle spielen Patientenmagazine bei der Deckung des Informationsbedarfs der Betroffenen? Inwieweit trägt „Befund MS“ aus Ihrer Sicht zur Aufklärung und Deckung des Informationsbedarfs bei?
Prof. Dr. Henze: Patientenmagazine sind – neben dem engen Kontakt und ausführlichen Gespräch mit einem Neurologen sowie den Informationen in Selbsthilfegruppen – ein weiterer wichtiger Baustein mit dem Ziel, sich möglichst viele Kenntnisse über seine Erkrankung zu verschaffen. Denn nur dann ist es den Betroffenen auch möglich, ihren Krankheitsverlauf selbst so günstig wie möglich zu beeinflussen. Befund MS ist mit vielen gut verständlichen Beiträgen zu sehr unterschiedlichen Fragen und Themen der MS ein wichtiger und regelmäßiger Beitrag zu einer umfassenden Information aller MS-Betroffenen.
Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Prof. Dr. Henze.
Quelle: Aus Befund MS 2/08