Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Die Vojta-Therapie ist eine Form der Physiotherapie, die u. a. darauf abzielt, Menschen mit Bewegungseinschränkungen aufgrund eines geschädigten Zentralnervensystems mehr Beweglichkeit zu verschaffen. Therapeuten, die nach dem Vojta-Prinzip arbeiten, nutzen die sog. Reflexlokomotion. Dabei handelt es sich um angeborene, automatisch ablaufende Bewegungsmuster, die in verschiedenen Körperlagen durch bestimmte Außenreize ausgelöst werden.
So können Vojta-Therapeuten bei MS-Patienten durch Druck auf verschiedene Regionen des Körpers (meistens Knochenkanten) in Bauch-, Rücken- oder Seitenlage z. B. dafür sorgen, dass Patienten sich spontan umdrehen (sog. Reflexumdrehen) oder Kriechbewegungen durchführen (sog. Reflexkriechen). Auf diese Weise erfolgt eine Aktivierung der Muskulatur und ihrer Funktionen, die zum Ziel hat, Patienten dabei zu helfen, bestimmte Bewegungen wieder oder leichter durchzuführen. Durch eine regelmäßige Wiederholung der Bewegungen soll der Körper lernen, diese auch in anderen Situationen automatisch ablaufen zu lassen.
Ziel der Vojta-Therapie ist es u. a., den Gleichgewichtssinn von Menschen mit gestörter Funktion des Zentralnervensystems zu verbessern, Greif- und Gehbewegungen sowie das Aufrichten des Rumpfes und des gesamten Körpers einzuüben, so weit möglich. Auch kleinere Bewegungen, z. B. der Mund- und Gesichtsmuskulatur, will die Vojta-Therapie wieder ermöglichen, ebenso sollen nicht willentlich steuerbare Körperfunktionen wie die Blasen- und die Darmfunktion positiv beeinflusst werden. Auf diese Weise sollen MS-Patienten befähigt werden, ihren Alltag möglichst selbstständig zu meistern, sodass sie an allen beruflichen und gesellschaftlichen Aktivitäten teilhaben können. In bestimmten Lebenssituationen darf die Vojta-Therapie jedoch nicht angewandt werden, etwa während einer Schwangerschaft oder bei akuten Erkrankungen, die mit Entzündungen einhergehen.
Der Erfolg der Vojta-Therapie stellt sich bei Erwachsenen i. d. R. erst nach einigen Therapiesitzungen ein, da die Muskulatur zunächst aktiviert werden muss, damit vom Zentralnervensystem von Geburt an gespeicherte Bewegungsabläufe wieder automatisch ablaufen können. Wunder sollten MS-Patienten von dieser Form der Physiotherapie nicht erwarten. Viele Betroffene berichten jedoch von einer verbesserten Körperhaltung sowie von Fortschritten beim Gehen. Kombiniert werden kann die Vojta-Therapie daher auch mit Training auf dem Laufband. Da die Vojta-Therapie das vegetative Nervensystem anregt, kann sie auch unwillentlich ablaufende Prozesse beeinflussen, neben der Blasen- und Darmfunktion z. B. auch das Schlucken oder den Akt des Sprechens. Aber auch z. B. die Schweißproduktion kann sich als Folge der Therapie zeitweilig ändern. In vielen Fällen verbessert die Therapie zudem das allgemeine Wohlbefinden.
Ganz allgemein gilt, dass jegliche Form von Bewegung positiv für Menschen von MS ist. Insbesondere für Betroffene mit starken Bewegungseinschränkungen kann die Vojta-Therapie von Nutzen sein, weil der Therapeut Bewegungsabläufe aktiviert, die unwillentlich ablaufen, und auf diese Weise einerseits sowohl die Muskulatur gestärkt wird und andererseits Bewegungen ermöglicht werden.
Quelle: Befund MS 2/2018