Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Eine klinische Studie des Ottawa Hospitals und der Universität von Ottawa, bei der das Immunsystem von Patienten mit aggressiver, rasch fortschreitender MS mithilfe einer Chemotherapie komplett zerstört und im Anschluss durch die Verabreichung von Blutstammzellen neu aufgebaut wurde, brachte bei den Teilnehmern alle Entzündungsherde im Gehirn zum Verschwinden. Zudem führte die Behandlung zu anhaltender Genesung, berichtet das Ottawa Hospital.
Die Studie, deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurden, umfasste 24 Teilnehmer, die 13 Jahre lang beobachtet wurden. Einer der Teilnehmer verstarb an Leberversagen als Folge der Chemotherapie.
„Unsere Studie ist die erste, bei der die Entzündungsaktivität bei MS vollständig und über einen längeren Zeitraum völlig unterdrückt wurde“, sagt Dr. Atkins, Spezialist für Stammzelltransplantationen. „Das ist einerseits spannend, andererseits birgt die Behandlung sehr große Risiken und zieht u. U. schwere Nebenwirkungen nach sich, weshalb sie nur für einen kleinen Teil von Patienten geeignet ist, der von einer sehr aktiven und durch herkömmliche Therapien nicht zu kontrollierenden Form der MS betroffen ist. MS-Betroffene, die schon sehr lange von Behinderungen betroffen sind, profitieren vermutlich nicht von dieser Behandlung.“
„Die Prozedur könnte als Behandlungsoption für Menschen in Erwägung gezogen werden, deren MS sich noch in einem frühen Stadium befindet und sehr aggressiv ist“, sagt Dr. Freedmann. „Zwar hatte die Studie eine vergleichsweise geringe Teilnehmerzahl, doch die Probanden wurden über einen sehr langen Zeitraum beobachtet – den bisher längsten überhaupt nach einer solchen Therapie – und genau dadurch überzeugen die Ergebnisse. Doch wie auch immer: Es handelt sich um eine sehr komplexe Behandlung, die nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden sollte, die sowohl große Erfahrungen mit MS als auch mit Blutstammzelltransplantationen haben.“
Die Studie untersuchte eine Behandlung, die als Immunoablation und autologe hämatopoetische Stammzellentransplantation (IAHSCT) bezeichnet wird. Dabei erhalten die Betroffenen Medikamente, die die blutbildenden Stammzellen anregen, vom Knochenmark ins Blut zu wandern. Diese Stammzellen werden aus dem Blut extrahiert, gesammelt, gereinigt und eingefroren. Daraufhin erhalten die Patienten eine Hochdosis-Chemotherapie, die ihr Immunsystem zerstört. Im Anschluss werden die gereinigten Stammzellen zurücktransplantiert, damit sie ein neues Immunsystem aufbauen können, das sich nicht daran „erinnert“, dass seine Immunzellen zuvor das Zentralnervensystem angegriffen haben.
An der Studie nahmen 24 Patienten mit aggressiver schubförmiger MS teil. Sie wurden über einen Zeitraum zwischen vier und 13 Jahren nach der Behandlung (durchschnittlich 6,7 Jahre) weiter beobachtet und regelmäßig untersucht.
Jennifer Molson, eine der Teilnehmerinnen, erhielt 1996 im Alter von 21 die Diagnose MS. Die Stammzellentransplantation wurde bei ihr 2002 durchgeführt. Sie sagt: „Vor meiner Transplantation konnte ich weder laufen noch arbeiten. Ich war pflegebedürftig. Jetzt kann ich ohne Hilfe laufen, wohne in meiner eigenen Wohnung und arbeite in Vollzeit. Auf meiner Hochzeit konnte ich gemeinsam mit meinen Vater den Gang zum Altar antreten und mit meinem Mann tanzen. Ich war sogar Ski fahren. Dieser Behandlung verdanke ich die Chance auf ein zweites Leben.“
„Die MS Society ist stolz, Teil eines wichtigen Wendepunkts in der Behandlung von MS zu sein“, sagt Yves Savoie, Präsident der kanadischen MS Society. „Was zunächst nur eine kühne Idee war, wurde zur Behandlungsoption für Menschen mit hochaktiver schubförmiger MS. Die Veröffentlichung der Ergebnisse informiert Mediziner über Nutzen und Risiken der Prozedur und ebnet den Weg für die weitere Forschung.“
„Eine Variante dieser Therapie wird seit Jahrzehnten bei der Behandlung von Leukämie eingesetzt, doch ihr Einsatz bei Autoimmunkrankheiten ist relativ neu“, sagt Dr. Atkins. „Die Therapie kommt nur in sehr schweren Fällen infrage, weil eine große Gefahr von Infektionen und anderen Nebenwirkungen bis hin zum Tod besteht. Die Risiken ähneln denen von Leukämiepatienten, die sich dieser Behandlung unterziehen.“ So starb einer der Studienteilnehmer an Leberversagen als Folge der Behandlung, ein weiterer benötigte aufgrund von Leberkomplikationen Intensivpflege. Über den Studienverlauf hinweg wurde die Behandlung modifiziert, um ihre Toxizität zu verringern, dennoch waren alle Teilnehmer von Fieber betroffen, das in den meisten Fällen von Infektionen herrührt.
„Mehrere vorhergehende klinische Studien anderer Forschungsgruppe haben eine solche Behandlung bereits bei Menschen mit MS durchgeführt und untersucht“, sagt Dr. Freedman. „Unsere Studie ist insofern einzigartig, dass wir einen stärkeren Medikamentencocktail verwendet haben, um das Immunsystem zu zerstören, dass wir die Teilnehmer über eine sehr lange Zeit begleitet haben und dass die Mehrzahl unserer Probanden erhebliche, lang anhaltende Antworten auf die Behandlung aufwies.“
Quelle: Befund MS