Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Bei Patienten, die an Multipler Sklerose erkrankt sind, ist das Gehirn in der Lage, bestimmte Störungen zu einem gewissen Grad zu kompensieren. Wie es das macht, haben Mediziner der Würzburger Uniklinik genauer untersucht. Ihre Erkenntnisse können dazu beitragen, die Therapie zu verbessern.
Patienten, die an MS leiden, zeigen regelmäßig typische Merkmale: Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark, die je nach Ort und Größe mehr oder weniger schwere Symptome hervorrufen. Die Betroffenen verspüren beispielsweise ein Kribbeln in den Extremitäten, sie stolpern vermehrt oder bekommen Schwierigkeiten beim Sehen. Im Extremfall sind sie gar nicht mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft fortzubewegen, und sitzen im Rollstuhl.
Häufig gelingt es aber dem Gehirn, den funktionellen, also für den Patienten spürbaren Schaden solcher Herde gering zu halten. Dabei stehen dem Gehirn verschiedene „Werkzeuge“ zur Verfügung: zum einen Prozesse, die auf einer rasch einsetzenden Verstärkung oder Abschwächung von Nervenzellkontakten basieren, zum anderen die meist mit Verzögerung auftretende Übertragung bestimmter Aufgaben von der geschädigten Hirnregion in eine gesunde. „Plastizität“ nennt die Wissenschaft diese Fähigkeit des Gehirns, sich veränderten Bedingungen anzupassen.
Die Antwort auf die Frage, welche Mechanismen tatsächlich der Kompensation bei MS-Patienten zugrunde liegen, ist von großer klinischer Bedeutung. Gelänge es der Medizin, die Kompensationsmechanismen an geeigneter Stelle mithilfe von Medikamenten oder krankengymnastischen Maßnahmen zu verstärken, ließe sich so das Auftreten von MS-bedingten Behinderungen möglicherweise verzögern oder ganz verhindern.
Auf der Suche nach den verantwortlichen Prozessen sind Wissenschaftler der Universität Würzburg jetzt einen Schritt weitergekommen. Gemeinsam mit Kollegen aus Bamberg und Leipzig haben sie eine Variante der rasch einsetzenden neuroplastischen Prozesse intensiver untersucht: die sog. erregbarkeitsmindernde Plastizität, die bei der Fokussierung auf bestimmte Bewegungen bedeutsam ist. Seine Ergebnisse hat das Team um die Mediziner Prof. Joseph Claßen und Dr. Daniel Zeller in dem Online-Journal BioMed Central – Neurology veröffentlicht.
„Wir konnten zeigen, dass eine frühe Form der Neuroplastizität im motorischen System bei leicht bis mäßig betroffenen MS-Patienten trotz entzündlicher Vorschädigungen voll erhalten ist“, fasst Dr. Daniel Zeller, Arzt an der Neurologischen Universitätsklinik, die Ergebnisse zusammen.
14 an MS erkrankte Patienten und eine Kontrollgruppe von ebenfalls 14 gesunden Teilnehmern haben die Wissenschaftler in dieser Studie untersucht. Mithilfe der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) haben sie kurzzeitig einen Bereich im Gehirn „lahmgelegt“, der für die Bewegung der Hand verantwortlich ist, und anschließend untersucht, ob sich „gesunde“ und „MS-Gehirne“ in ihrer Reaktion darauf unterscheiden. „Die Untersuchung dieser Form der Plastizität bei Multipler Sklerose ist von besonderem Interesse“, sagt Dr. Zeller. Schließlich ziele sie direkt auf jene Mechanismen, die die Erregbarkeit von Neuronen begrenzen. Damit ließen sich die Ergebnisse möglicherweise direkt in Behandlungsstrategien umsetzen.
Und wie sehen diese Ergebnisse nun aus? „Zusammen mit den Befunden einer früheren Untersuchung von uns können wir sagen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass die MS-Erkrankung in den frühen Stadien mit einer Störung der zuerst einsetzenden Kompensationsschritte im Gehirn einhergeht“, sagt Dr. Zeller. Für die Rehabilitation der Betroffenen bedeute dies: Entsprechende Ansätze sollten besser darauf abzielen, spätere Formen der Plastizität zu stärken, wie beispielsweise die Rekrutierung anderer Hirnregionen für die Ausführung einer bestimmten Aufgabe. Hierüber informierte die Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Quelle: Befund MS 01/2013