Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Was macht die Krankheit Multiple Sklerose eigentlich so schwer? Ist es das Wissen darum, einem Weg des körperlichen Verfalls ausgeliefert zu sein, von dem man nicht weiß, wie schnell und wie schwer er sein wird? Ist es das echte oder auch gespielte Mitleid der anderen, ihre Unsicherheit im Umgang mit uns MS-Kranken? Oder der Verlust der beruflichen Perspektiven? Sind es die Einschränkungen im Geld und im Aufbau von Freundschaften und Beziehungen? Diese zunehmende Steifheit und Unbeholfenheit des Körpers, vielleicht zunehmender Schmerz? 1.000 Fragen und 1.000 mögliche Belastungen, welche die Krankheit MS mit sich bringt. Wie soll da ein religiöser Glaube eine Hilfe darstellen, wo doch die harten Fakten des Verlustes von Gesundheit und Attraktivität ihre harte und oft brutale Sprache sprechen?
Glaube ist der Versuch, sein Leben in einer tieferen Geborgenheit zu verstehen, als es die unmittelbar greifbare Welt schenken kann. Es geht nicht um Flucht. Denn es ist ja tatsächlich so: Zunächst gibt uns im Leben das Halt, was unmittelbar gut tut – die Kraft und die Beweglichkeit des Körpers, Sauberkeit und Schönheit, der liebende Kontakt zu Freundinnen und Freunden, ihre anerkennenden Worte, der berufliche Erfolg und die lebendige Entfaltung meines Lebens. Auch als kranker Mensch suche ich jeden Tag nach Erfüllung genau hier: nach der zarten und treuen Hand des Partners, nach Entspannung in den Bewegungen, die mir noch möglich sind, z. B. beim Schwimmen, nach einem Essen, das schmeckt und das ich vertrage, das ich guten Gewissens auch mit meiner Krankheit genießen darf, ohne zu dick zu werden, weil ich im Rollstuhl sitze.
Aber an den Grenzen, dort wo die Einschränkungen nicht verdrängt werden können, wo es so wenig Hilfsmittel und Erleichterungen gibt, wo es einfach darum geht, die Ohnmacht zu akzeptieren, bescheiden zu werden und in den Grenzen zufrieden zu sein, da brauche ich die Hoffnung auf eine tiefere Welt. Soll ich es Glauben nennen? Es ist Sehnsucht, kein Wissen. Da lässt sich nichts in den Griff bekommen, nichts besitzen. Aber die Sehnsucht nach Geborgenheit hört nicht auf, auch an diesen Grenzen. Der Glaube daran, dass das Leben es gut auch mit mir meint, dass Gott auch mir das Leben gönnt, lässt diese Sehnsucht nicht zum Schweigen bringen. Ein solches sich Ausstrecken nach der tieferen Geborgenheit ist bleibende Suche nach Kraft, zumindest aushalten zu können, was an Geduld und Trauer im Umgang mit der Krankheit MS zu ertragen ist.
Ich weiß nicht, ob solche Gefühle allen Menschen oder auch nur vielen zugänglich sind. Für den einen sind sie vielleicht zu weit weg vom konkreten Leben. Für den anderen eben einfach zu wenig greifbar. Niemand hat das Recht, sich wegen dieser unterschiedlichen Erfahrungen gegenseitig zu verachten. Aber vielleicht kann man es so auch etwas allgemein gültiger erklären: Gebet um Gottes Segen auch in der Krankheit ist nicht einfach sinnloses Gefasel. Es bewegt im Herzen die bleibenden Fragen, die Angst vor dem Tod, die unstillbare Sehnsucht nach Geborgenheit, die Offenheit auch dort, wo sich das Leben zu verschließen scheint. Und darin schenkt es die Erfahrung einer eigenen, tiefen Würde, die ich habe.
Quelle: BMS 3/2011