Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Der Verlauf der Multiplen Sklerose ist individuell verschieden und kann sehr schwer vorausgesagt werden. Irgendwann ist es jedoch möglich, dass sich die verschiedenen Symptome von Gefühls- und Sehstörungen bis zu Bewegungseinschränkungen so verdichten, dass der Betroffene auf Unterstützung angewiesen ist.
Es ist besser, mit diesem Risiko offen umzugehen und sich früh genug darauf einzustellen, bevor der Erkrankte und seine Angehörigen, die ihn unterstützen, vor plötzliche Probleme gestellt werden.
Die häusliche Pflege erfordert Zeit, Geduld und vor allem gegenseitiges Verständnis. Nicht nur der Erkrankte steht vor einer neuen Situation, sondern auch die pflegenden Personen. Alle Beteiligten sind verunsichert, besorgt und müssen ihren Alltag neu strukturieren. Vertrauen und Ehrlichkeit sind Grundvoraussetzung für eine funktionierende Pflegebeziehung, die nur auf der Basis offener Kommunikation entstehen kann: Hier gilt es, Interesse zu signalisieren, Zeit für Gespräche einzuräumen, Gestik und Mimik sensibel zu interpretieren. Die Hilflosigkeit des Erkrankten kann zu Aggressivität führen, der der Pflegende in dem Wissen, dass sie nicht persönlich aufzufassen ist, mit Gelassenheit begegnen sollte.
Grundsatz der häuslichen Pflege ist es, sowohl Überbehütung als auch Überforderung zu vermeiden – oftmals eine Gratwanderung. Es ist wichtig, die Selbstständigkeit des Betreuten so lang wie möglich zu erhalten und vorhandene Funktionen zu fördern. Auch wenn es dem Hilfsbereiten schwerfällt und die Langsamkeit Geduld erfordert: Die Unterstützung von außen sollte in dem Maße zurückgenommen werden, wie die Aktivität des Erkrankten steigt.
Die Bewegungseinschränkung, die mit einer MS einhergeht, kann unbehandelt zu Kontrakturen und im schlimmsten Fall zu Bettlägerigkeit führen. Deshalb ist es wichtig, die körperliche Beweglichkeit zu fördern, dabei aber auch alle Risiken zu beachten und die Sturzgefahr – etwa durch die Vermeidung von Stolperfallen – zu vermindern. Auch hier gilt es, wo nötig Hilfestellung zu leisten, aber eigene Aktivitäten soweit möglich zuzulassen.
Ist der Patient bettlägerig, ist folgenden Komplikationen vorzubeugen: Wundliegen (Dekubitus), Lungenentzündung (Pneumonie), Thrombose. Dafür existieren Prophylaxemaßnahmen, über die Ärzte und professionelles Pflegepersonal aufklären: bestimmte Lagerungen, spezielle Matratzen, atemstimulierende Übungen, Einreibungen, medikamentöse Vorbeugung. Mobilisationsmaßnahmen helfen, Blutdruck, Kreislauf und Puls zu normalisieren.
Da durch die Sensibilitätsstörungen auch Schmerzempfindungen eingeschränkt sind, können Betroffene ihre Empfindlichkeiten oft nicht ausdrücken, sodass es auf genaue Beobachtung durch den Pflegenden ankommt. Auch die Temperaturempfindung kann dadurch eingeschränkt sein, sodass auf geeignete Kleidung, angepasstes Bettzeug und ein angenehmes Raumklima (ausreichende Lüftung beim Schlafen bei Vermeidung von Zugluft) zu achten ist.
Bei der Körperpflege muss die Selbstständigkeit, auch aus Achtung der Intimsphäre, möglichst lang bewahrt werden, indem der Pflegende gut beobachtet, was der Betreute selbst leisten kann und wo er Hilfe benötigt. Hautveränderungen wie Rötungen, Blasenbildungen, Ödeme und Infektionen müssen frühzeitig erkannt und sofort behandelt werden.
Die Ernährung sollte abwechslungs-, vitamin- und ballaststoffreich sein, wobei Fleischspeisen zurückhaltend angeboten werden sollen. Schränken Tremor und Bewegungsunsicherheiten das Essvermögen ein, müssen geeignete Hilfsmittel wie etwa Spezialbesteck eingesetzt werden. Oft hilft es schon, die Arme auf einem Podest in Schulterhöhe abzulegen, um den Weg zu verkürzen und eigenständiges Essen zu ermöglichen. Viele MS-Betroffene leiden unter Blasenstörungen und schränken aus Angst vor Inkontinenz möglicherweise die Flüssigkeitszufuhr ein. Der Betreuende muss also für eine positive Flüssigkeitsbilanz sorgen. Das Inkontinenzproblem lässt sich durch Toiletten-, Beckenbodentraining und medikamentöse Behandlung beherrschen.
Die Auswahl der Kleidung kann mit dazu beitragen, die Selbstständigkeit beim An- und Ausziehen zu fördern: Reiß- oder Klettverschlüsse und große Ausschnitte sind engen Kleidungsstücken mit umständlichen Knöpfen vorzuziehen. Die Schuhe sollten ebenfalls leicht zu handeln sein und eine rutschfeste Sohle haben, wobei natürlich immer die indivuellen Wünsche zu berücksichtigen sind, die in allen Lebensbereichen an erster Stelle stehen. Das gilt selbstverständlich auch für das Einhalten ausreichender Ruhepausen, da Schwäche und Erschöpfung zu den Hauptsymptomen der MS zählen. Dem Problem von Einschlafstörungen trotz häufiger Müdigkeit ist mit festen Einschlafritualen und individuellen Entspannungstechniken (sei es beruhigende Musik, Einreibungen etc.) zu begegnen.
Damit pflegebedürftige MS-Erkrankte und ihre Angehörigen auch auf professionelle pflegerische Unterstützung zurückgreifen können, hat die DMSG die Fachfortbildungsveranstaltungen „Pflege bei MS“ ins Leben gerufen. Absolventen erhalten für die Dauer von zwei Jahren eine entsprechende Auszeichnung. Adressen qualifizierter Pflegedienste erhält man unter www.dmsg.de und bei den DMSG-Landesverbänden.
Quelle: Befund MS 3/2010