Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.
Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für alle von MS Betroffenen mit größeren Bewegungseinschränkungen ist ist der Dekubitus. Darunter versteht man Verletzungen der Haut und der darunter liegenden Schichten, die durch länger andauernden Druck auf das Körpergewebe sowie durch Reibung und Scherkräfte entstehen. Ein Dekubitus ist i. d. R. schmerzhaft, der Heilungsprozess dauert u. U. recht lange. Vor allem Rollstuhlfahrer und Bettlägerige sollten den Druckgeschwüren daher vorbeugen bzw. Angehörige oder Pflegekräfte bitten, darauf zu achten, Dekubitus zu verhindern.
Dekubitus entwickelt sich, wenn bestimmte Körperbereiche längere Zeit größerem Druck, z. B. durch das Körpergewicht, ausgesetzt sind. Bei Rollstuhlfahrern ist das z. B. das Gesäß und dort vor allem die Bereiche mit Knochenvorsprüngen, die nur gering „gepolstert“ sind. Der anhaltende Druck presst das Gewebe zusammen und verhindert, dass die Blutgefäße eine ausreichende Menge Blut dorthin transportieren können. Das Gewebe wird also nur unzureichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, die für eine gesunde Zellfunktion notwendig sind. Auch der Abtransport von Schadstoffen funktioniert nicht mehr richtig.
Hält der Druck über einen längeren Zeitraum an, sterben die Zellen schließlich ab. Um zu retten, was zu retten ist, stellt der Organismus die Blutgefäße weit, um die Blutversorgung in den betroffenen Bereichen zu verbessern. Es entstehen Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme) und es kommt zur Blasenbildung. Bald darauf öffnen sich die Blasen und es kommt zur Bildung von schmerzhaften Geschwüren, die sich bei unzureichender Behandlung bis in die untersten Hautschichten vorarbeiten und sogar Muskeln, Knochen und Sehnen betreffen können.
Bei Menschen ohne Bewegungseinschränkungen ist Dekubitus selten, denn schon kleinste Gewichtsverlagerungen verhindern seine Entstehung. Selbst Menschen, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen, haben diese Problematik nicht, weil ihr Körper ihnen spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Druck zu groß wird, durch unangenehme Gefühle signalisiert, dass sie ihre Sitzposition ändern müssen. Bei Personen, die sich aus eigener Kraft nur unzureichend bewegen können bzw. bei denen Sensibilitätsstörungen vorliegen, ist dies nicht der Fall. Sie merken daher vielleicht gar nicht, dass der Druck auf bestimmte Körperbereiche zu stark wird.
Vom Dekubitus sind nicht nur ältere Menschen betroffen, auch wenn das Alter durchaus eine Rolle spielt, etwa weil bereits Grunderkrankungen vorliegen, welche die Haut empfindlicher machen. Ohnehin reagiert die Haut im Alter sensibler auf anhaltenden Druck. Doch auch in jüngeren Jahren kommt Dekubitus vor. Die Gefahr für die Entstehung von Druckgeschwüren erhöht sich der Deutschen Dekubitus Liga zufolge u. a. durch neurologische Erkrankungen wie die MS, durch Mangelernährung, zu hohes oder zu geringes Körpergewicht, Wahrnehmungsstörungen oder durch Inkontinenz. Bereits bestehende Hautdefekte sowie die Einnahme bestimmter Medikamente, unzureichende Lagerung und schlechte Körperhygiene können ebenfalls zur Entstehung von Dekubitus beitragen.Auch eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr ist ein Risikofaktor für Dekubitus. Das sollten vor allem bewegungseingeschränkte Menschen mit Harninkontinenz beachten, die zu wenig trinken, weil sie Angst vor unkontrolliertem Urinabgang haben.
Rollstuhlfahrer, die den ganzen Tag im Rollstuhl sitzen, sollten ihre Sitzposition in regelmäßigen Abständen ein kleines bisschen verändern. Ein von einer Uhr oder einem Mobiltelefon ausgesandtes Signal (z. B. ein Piepsen zu jeder vollen Stunde) kann daran erinnern. Zudem lohnt sich die Investition in ein druckentlastendes Sitzkissen für den Rollstuhl, auch Anti-Dekubitus-Sitzkissen genannt. Bescheinigt der Arzt die medizinische Notwendigkeit eines solchen Kissens, tragen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten, da Anti-Dekubitis-Sitzkissen als erstattungsfähiges Hilfsmittel anerkannt sind.
Auch Stehrollstühle eignen sich zur Dekubitusprophylaxe, da sie dem Rollstuhlfahrer einen eigenständigen Wechsel vom Sitzen ins Stehen ermöglichen. Sie sind bei ärztlich bescheinigtem Bedarf ebenfalls als Hilfsmittel anerkannt. Ein Rollstuhlfahrer sollte möglichst nicht den ganzen Tag sitzen. Wer ohne Hilfe nicht stehen kann, kann in einem sog. Stehständer zumindest zeitweilig eine aufrechte Position einnehmen.
Bettlägerige, in ihrer Bewegung eingeschränkte Menschen müssen darauf achten, so gelagert zu werden, dass sie möglichst einfach bewegt werden können und eventuell bereits vorhandene Druckstellen entlastet werden. Angehörige sollten sich die richtige Lagerung von einem auf Dekubitus spezialisierten Pflegedienst zeigen lassen. Bewährt hat sich in vielen Fällen die sog. Mikrolagerung. Dabei werden dem Bettlägerigen gefaltete Handtücher oder kleine Kissen z. B. unters Becken oder unter die Schulter geschoben. Nach einem gewissen zeitlichen Abstand wechselt der Pflegende die Position des Kissens oder Handtuchs – von der Schulter zum Becken oder zu den Kniekehlen. Auch auf zwei oder mehr Kissen kann der Bettlägerige zeitweilig gelagert werden. Dadurch verteilt sich der Druck des Körpers immer wieder minimal anders, Druckgeschwüren wird so vorgebeugt. Andere Lagerungstechniken lassen sich Angehörigen am besten zunächst zeigen. Bei bereits bestehenden Druckgeschwüren in der Gesäßregion ist von einer Lagerung auf dem Rücken abzusehen. Natürlich gibt es auch spezielle Dekubitus-Matratzen, die den Druck auf gefährdete Bereiche des Körpers reduzieren, doch auch bei diesen müssen Helfer den Bettlägerigen von Zeit zu Zeit anders lagern.
Wichtig für Menschen, die dekubitusgefährdet sind, ist die Körperhygiene. Das bedeutet nicht, täglich zu duschen oder gar zu baden, denn das würde die Haut zusätzlich angreifen. Doch vor allem gefährdete Körperbereiche müssen sauber gehalten und anschließend richtig getrocknet werden. Bereits angegriffene Hautpartien sollte man besser mit kühlem oder lauwarmem Wasser waschen, statt mit warmem oder gar heißem. Der Grund: Warmes Wasser trocknet die Haut stärker aus und macht sie anfälliger. Statt Seife sollten besser Reinigungsflüssigkeiten mit ähnlichem pH-Wert wie dem des Säureschutzmantels der Haut verwendet werden.
Nach dem Waschen muss die Haut gut getrocknet werden, denn Feuchtigkeit erhöht das Dekubitusrisiko. Am günstigsten tupft man sie vorsichtig trocken. Ist die Haut sehr trocken, können Hautlotionen helfen. Fragen Sie den Arzt, welche Lotion oder Creme er empfiehlt. Die Lotion sollte nicht in die Haut einmassiert, sondern vorsichtig aufgetragen werden. Hautrötungen, die nicht verschwinden, wenn man mit den Fingern darauf drückt, können ein Zeichen für beginnenden Dekubitus sein. Dann sollten Sie einen Arzt fragen, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden können, damit er sich nicht verschlimmert.
Quelle: Befund MS 01/2014