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Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Zentralnervensystems. Das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen ist für die Koordination von Bewegungsabläufen und die Integration von äußerlichen und innerlichen Reizen zuständig.

Multiple Sklerose
© iStock - Stadtratte

Tabuthema Inkontinenz

Inkontinenz kann eines der vielfältigen Symptome einer Multiplen Sklerose sein. Prof. Dr. K.-P. Jünemann, Klinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein gibt Auskunft zu Ursachen und Behandlungsmethoden.

Welche Blasenfunktionsstörungen sind bei MS am häufigsten?

Prof. Jünemann: Die Erkrankung Multiple Sklerose (Enzephalomyelitis disseminata) spielt sich im Zentralnervensystem ab und kann auf diese Weise sowohl das im Gehirn sitzende übergeordnete pontine (zwischen Groß- und Kleinhirn liegende) sowie das im Sakralmark liegende sakrale Miktionszentrum in Mitleidenschaft ziehen. Abhängig von der Lokalisation der Grunderkrankung und vom aktuellen Erkrankungszustand finden sich unterschiedlichste Blasenfunktionsstörungen. Grundsätzlich handelt es sich immer um eine neurogene Blasenfehlfunktion. Bei einer MS-Erkrankung findet sich somit verschiedene neurogene Blasenfunktionsstörungen, die – wenn die Erkrankung in Schüben verläuft – von einer vollständig neurogenen Detrusorüberaktivität

  • mit oder ohne Harninkontinenz bis zu einer Normalfunktion reichen kann.

Das bedeutet, dass die Kontrolle der Harnblase völlig autonom ist und das sakrale Miktionszentrum die Blasenfunktion steuert. Dies führt dazu, dass ab einem bestimmten Füllungszustand eine unwillkürliche, nicht kontrollierbare Blasenkontraktion auftritt, die dann zumeist mit einer Blasenentleerung einhergeht. Auf der anderen Seite kann nach Beendigung des Schubes die Blasenfunktion sich für eine gewisse Zeit wieder vollständig normalisieren bzw. der Ausprägungsgrad der für den Patienten wahrnehmbaren Fehlfunktion (Inkontinenz) besser kontrollierbar oder geringer werden.

Problematisch bei dem Krankheitsbild ist, dass auf der einen Seite die Blasenkontraktion (Zusammenziehen des Detrusor vesicae) unkontrolliert abläuft und auf der anderen Seite die Blasenhalsrelaxation sowie die Schließmuskelfunktion nicht koordiniert ablaufen. Das kann dazu führen, dass eine sog. Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie auftritt mit pathologisch erhöhten Druckwerten in der Blase und der Gefahr der Schädigung des oberen Harntrakts, da die Blasenkontraktion gegen einen sich gleichzeitig kontrahierenden Schließmuskel arbeitet und auf diese Weise pathologisch erhöhte Blasendruckwerte entstehen, die für die Nieren gefährlich sein können.

Unterscheidet sich die Therapie bei MS von der „normalen“ Inkontinenzbehandlung?

Prof. Jünemann: Vermutlich meinen Sie mit normaler Inkontinenzbehandlung die medikamentöse Therapie einer überaktiven Blase unklarer Genese, zumindest nicht neurogenen Ursprungs. Hierzu muss man sagen: „Jein“. Grundsätzlich muss zunächst eine sehr genaue und dezidierte Diagnostik vorgenommen werden, um herauszufinden, ob eine reine Blasenfehlfunktion im Sinne einer Überaktivität vorliegt oder zeitgleich auch eine Sphinkterspastik (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie). Letztere tritt bei der klassischen überaktiven Blasenfehlfunktion nicht-neurogenen Ursprungs eben nicht auf.

Der medikamentöse Therapieansatz, mit Anticholinergika bzw. Antimuskarinika zu arbeiten, ist in beiden Fällen, sowohl bei den neurogenen als auch den nicht-neurogenen Blasenfunktionsstörungen der gleiche. MS-Patienten zeigen jedoch, wie bereits erwähnt, häufig Änderungen ihrer Blasenfehlfunktion in Abhängigkeit vom schubartigen Verlauf der Erkrankung oder, sollte sie progredient verlaufen, eben vom Schweregrad und darüber hinaus muss die Schließmuskelfunktion, insbesondere die Spastik, häufig mitbehandelt werden.

Bewährt hat sich bei MS-kranken Patienten in Abhängigkeit vom Schweregrad der Fehlfunktion der Harnblase der Einsatz von Botulinumtoxin. Das Einspritzen von Botox in die Blasenwand führt zu einer im Mittel neunmonatigen Blasenberuhigung, sodass die Inkontinenz binnen zwei bis drei Wochen nach Botoxgabe sistiert, d. h. verschwindet. Die Patienten müssen wissen, dass die Blase praktisch für neun Monate gelähmt ist und in der Mehrzahl der Fälle die Blasenentleerung mittels Einmalkatheterismus oder, bei älteren Patienten, durch eine suprapubische (d. h. durch die Bauchdecke geführte) Harnkatheterableitung sichergestellt werden muss.

Gibt es Dinge, die MS-Betroffene, die unter Inkontinenz leiden, besonders beachten müssen?

Prof. Jünemann: Ja, neurogene Blasenfehlfunktionspatienten müssen sich einmal jährlich einer video-urodynamischen Untersuchung unterziehen, um Blasen- und Schließmuskelfehlfunktion zu kontrollieren. Ein sorgloses Abwarten kann dazu führen, dass durch extrem hohe pathologische Druckwerte in der Harnblase der obere Harntrakt und somit die Nierenfunktion geschädigt werden. Darüber hinaus kann bei MS-Kranken die Erkrankung in Schüben oder eben progredient verlaufen, sodass sich die Fehlfunktionen von Harnspeicherung und -entleerung im Verlauf der Erkrankung und mitunter im Verlauf eines Jahres mehrfach ändern kann.

Was ist ein „Blasenschrittmacher“ und in welchen Fällen ist er zu empfehlen?

Prof. Jünemann: Die Formulierung Blasenschrittmacher ist an dieser Stelle eher falsch, da es sich um eine Neuromodulation handelt. Mit einer Neuromodulator-Implantation werden Stimulationselektroden an die Nervenfasern S3 gelegt, die die Blase innervieren, d. h., kontrollieren. Durch die Stimulation dieser Nervenfasern kann die außer Kontrolle geratene Blasenfunktion ein Stück weit besser kontrolliert werden, mitunter sogar vollständig.

Die Elektrodenkabel werden mit einem Neuromodulator verbunden, der unter die Bauchdecke/Rippenbogen gelegt wird und von außen mit einem Steuerungsgerät direkt angesteuert werden kann. Wenn der Patient den Eindruck hat, dass die Blase gefüllt ist und er sie entleeren möchte, geht er zur Toilette und schaltet den Stimulator aus. Anschließend kann er, so keine Schließmuskelfehlfunktion vorliegt, die Harnblase auch sehr gut entleeren. Somit ist die Implantation eines Neuromodulators abhängig von dem neurourologischen Krankheitsbild des unteren Harntrakts und im Grunde nur dass indiziert, wenn eine solitäre Detrusorüberaktivität ohne Sphinkterspasmus vorliegt.

Detrusor vesicae = Bezeichnung für die Entleerung bewirkende Muskulatur der Blase

Quelle: BMS 3/2011

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